Reykjavik Marathon 2019: Laufen in der nördlichsten Hauptstadt Europas

Es ist soweit. Der Reykjavik Marathon 2019 lockte mich in den hohen Norden Europas und während in Deutschland der Sommer sein Comeback feiert, schaffe ich es mal wieder in deutlich kühlere Regionen der Welt aufzubrechen. Die isländische Hauptstadt mit ihrem aus Buchstabensalat bestehenden Namen wird sich von einer kühlen Seite präsentieren, was für den Marathonlauf alles andere als schlechte Voraussetzungen sein werden. Dennoch überlegte ich noch vor weniger als einer Woche besser zu Hause zu bleiben.

Auf der Suche nach der Spritzigkeit

Die Trainingswochen nach dem San Francisco Marathon 2019 liefen aus läuferischer Perspektive nicht gut. Anders kann man dies nicht ausdrücken. Den geplanten Lauf nach der US-Reise ließ ich aus familiären Gründen ausfallen, die Woche darauf quälte ich mich im Nüchternlauf über 33 km und am Sonntag vor dem Reykjavik Marathon fühlten sich die 20 km beinahe wie die volle Distanz an. Hinzu kam, dass ich bereits seit Wochen bei meinen 10-Kilometer-Läufen mit meiner Pace zu kämpfen hatte, wobei ich dies vor allem auf die zwischenzeitliche Hitze schob. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich langsam war und eigentlich bereits für San Francisco mit einer schlechten Rennzeit gerechnet hatte.

Es kam außerhalb des Laufens die letzten Wochen viel zusammen, was ich nicht nur mit so wenig Schlaf, wie seit über einem Jahr, zu bezahlen hatte und wie so oft ist es schwer eine einzelne Ursache für die zu beobachtenden Wirkung festzumachen. Zu allem Überfluss befinde ich mich seit inzwischen fünf Wochen auf einer Diät, da ich zwei Wochen nach dem Berlin Marathon 2019 bei der GNBF nach 18-monatiger Pause wieder auf die Bodybuilding-Bühne gehen will. Dieses Unterfangen gelang mir im Frühjahr 2018 bereits ganz passabel, wobei der Hannover Marathon 2018 damals vier Wochen zuvor lag und kein anderer Marathon in der Vorbereitung gelaufen wurde. Diesmal wird somit einiges anders. Diesmal ist bereits einiges anders.

Hinzu kam, dass mein Piriformis im rechten Bereich überlastet war, so dass es zu Trainingsanpassungen kam: Das Trainings- und vor allem Beugevolumen wurden wieder reduziert, nachdem ich beides zwischenzeitlich erhöht hatte. Erstmals seit gut zwei Jahren reduzierte ich meine geplanten Trainingseinheiten von fünf auf vier und ergänzte bewusste Präventionsarbeit für den Piriformis, der zugegeben ein wenig zu kurz kam. Generell gab es weiterhin Fortschritte. Meine Form, die fürs zugegeben Laufen egal ist, wurde die letzten Wochen besser, ich absolvierte das Freeletics Workout Aphrodite das zweite Mal im Leben unter 14 Minuten und die Probleme mit dem Piriformis verschwanden vollständig, so dass ich vor allem von einer Überlastung ausgehe.

Dennoch war der Nüchternlauf am vergangenen Sonntag und Qual und gerade deswegen zweifelte ich, ob ich zum Reykjavik Marathon aufbrechen sollte. Es war nicht dasselbe Gefühl, wie beim spontanen Verzicht auf den Jerusalem Marathon. Es war kein Reise-Burnout, es war fehlende Spritzigkeit, die mich (ver)zweifeln ließ. Während ich im ersten Augenblick beinahe die Stornierung umgesetzt hätte, nahm ich mich noch einmal ein Stück zurück, versuchte einen rationalen Blick auf meine Überlegungen zu werfen. Mir war bewusst, dass die letzten Wochen ebenfalls auf meine Gefühlslage Einfluss nahmen. War ich fit genug für Reykjavik?

Ich beschloss noch eine Nacht über meine Entscheidung zu schlafen. Das sind diese Momente, wenn man wohl von Altersweisheit spricht, denn inzwischen weiß ich, dass ich manchmal im Leben zu dickköpfigen, aber eventuell auch emotional geprägten Entscheidungen neigen kann, die möglicherweise nach einer entspannten Nacht zumindest in einem anderen Licht dastehen. So war es in diesem Fall auch. Was hatte ich zu verlieren? Notfalls würde ich das Läuferfeld vor mir hertreiben und die letzten Kilometer des Marathons zu einem Spaziergang über die Insel im Norden Europas machen. Die Reise war bezahlt, ich entschloss mich diese anzutreten.

Während am Dienstag die letzte geplante Krafteinheit gut verlief, wollte ich am Mittwoch eigentlich wie in der Woche zuvor keine Laufschuhe schnüren, sondern auf Freeletics und das Ruderergometer ausweichen. Doch irgendwas in mir trieb mich an. Ich hatte Lust, die 10 km zu laufen. Ich fühlte mich trotz eines langen Arbeitstages und vollem Magen gut und hörte auf meinen Körper. Mit 43:37 min lief ich nicht nur bedeutend schneller als die letzten zwei Monate, die in mir Selbstzweifel aufkommen ließen, sondern auch meine drittschnellste Zeit in diesem Jahr, wobei einer der beiden schnelleren Läufe eine persönliche Bestzeit vor dem Luxemburg Marathon 2019 gewesen war. Man kann sich vielleicht vorstellen, wie gut dies tat. Mental. Die Zweifel der letzten Tage wurden erstmals von Vorfreude zur Seite gedrängt.

Der Reykjavik Marathon und ich: Zwei alte Männer treffen sich

Als ich um die 16 Jahre alt war, empfand ich ein Alter von 24 Jahren als unfassbar lat. Auch wenn ich noch ein paar Jahre habe, nähere ich mich mit großen Schritte der Summe dieser beiden Zahlen, wobei das für die Marathondistanz ja das beste Alter sein soll. Etwas jünger als ich ist der Reykjavik Marathon, der im Jahr 2019 seinen 35. Geburtstag feiern wird und somit durchaus auf ein paar Jahre zurückschauen darf.

Dennoch jagt der Marathon nicht nach Rekorden in irgendeinem Bereich. Im Vorjahr gingen mit 1.269 Teilnehmern und Teilnehmerinnen im Vergleich zu manch anderem Laufevent verhältnismäßig wenig Läufer an den Start des Marathons, wobei die gesamte Veranstaltung dennoch fast 10.000 Sportler zu locken wusste. Bei einer Einwohnerzahl von gerade einmal knapp 338.000 Menschen in ganz Island eine schon beeindruckende Zahl. Vor allem, wenn man die 15.000 Teilnehmer des Neu Delhi Marathons in einem Land mit über eine Milliarden Menschen dagegenhält.

Entsprechend bin ich nicht der einzige Marathon-Pilgerer, der sich für die 42,195 km auf den Weg nach Reykjavik macht. Im letzten Jahr waren es vo allem die US-Amerikaner, die über zehn Prozent aller Teilnehmer bildeten, aber auch Deutschland war mit über 300 Teilnehmern eine eine von über 80 Nationen stark vertreten. Dennoch standen in der Vergangenheit oft Isländer ganz oben auf dem Treppchen und der letzte kenianische Sieger, deren Eliteläufer bekanntermaßen viele Rennen dominieren, war Simon Tanui im Jahr 2007 mit einer Zeit von 2 h 24 min. Die Tatsache, dass insbesondere die letzten fünf Jahre ähnliche oder sogar schnellere Zeiten gelaufen wurden, deutet auf eine gute Strecke und einen eher langsamen Tanui hin. Insofern bin ich gespannt, wie ich mich in dem Land schlagen werde, das mehr Schafe als Menschen vorzuweisen hat.

Unspektakuläre Anreise in eine unspektakuläre Hauptstadt

Die Anreise war entsprechend der Distanz relativ lang, aber entspannt. Über Kopenhagen, dessen Flughafen ich jetzt auch kennenlernen durfte, ging nach einem dreistündigen Aufenthalt in Richtung Reykjavik, dessen Flughafen hübsch, groß und gleichzeitig kurios war: Bei kleineren Gates, die in anderen Flughäfen beispielsweise in einer anderen Etage angesiedelt sind, gab es mitten im Gang lediglich einen Absperrbereich, wie vor einer Disco, aber keine Sitzmöglichkeiten. So etwas hatte ich bisher auf noch keinem Flughafen beobachten können.

Ebenso überrascht war ich darüber, keinerlei Einreisekontrollen erlebt zu haben. Als Deutscher hat man für einen gewissen Zeitraum einen visafreien Zugang zum Land, gleiches galt aber auch für Dubai, wo ich dennoch lange anstand, bevor ich in die Vereinigten Arabischen Emirate einreisen durfte. Darüber hinaus waren am Flughafen eine auffallend große Anzahl an asiatischen Touristen unterwegs, so dass ich mich frage, an welcher Stelle die Passkontrolle eines visumsverpflichteten Menschen stattgefunden hätte, der aus Deutschland angereist wäre. Bei den Boardings wollte nämlich weder in Deutschland noch in Dänemark meinen Pass sehen, was ich auch schon einige Male anders erlebte.

Vom Flughafen aus nahm ich einen Shuttleservice, der gezielt zu einer gewünschten Adresse fuhr. Reykjavik hat keinen Flughafen, so dass man im gut 45 bis 60 Minuten entfernten Keflavik landet, wenn man in Island einreist. Vorbei an beeindruckenden Mondlandschafen, die aus dem Flugzeug bereits zu sehen waren, erreichten wir nach der angekündigten Zeit die Hauptstadt der gar nicht mal so kleinen Insel und ich war zugegeben etwas ernüchternd. Natürlich habe ich keine Hochhäuser erwartet, aber irgendwie so etwas wie einen isländischen Charme, welcher sich mir jedoch nicht unbedingt erschloss. Reykjavik ist keinesfalls hässlich, aber auch nicht sonderlich spektakulär.

Ich selbst buchte den Service direkte zu Messehalle des Marathons und als die Fahrerin die Adressen vorlas, entschieden sich noch zwei der sechs anderen Fahrgäste ebenfalls spontan dazu, dort auszusteigen. Wie bereits im letzten Jahr pilgerten offenbar auch dieses Jahr einige Läufer aus dem Ausland nach Reykjavik, um die Laufschuhe zu schnüren. Obwohl und gerade weil die Messe nur noch zwei Stunden geöffnet hatte und bereits am Vortag eine Startnummernausgabe erfolgte, war die Halle brechend voll.

Die Ausgabe erfolgte auf den ersten Blick etwas chaotisch: Egal welche Distanz man lief, man konnte sich überall anstehen. Hintergrund war, dass man offenbar bei der Abholung erst seine Nummer zugewiesen bekam. Während man sonst per Mail über seine BIB informiert wird und einige Marathons inzwischen sogar für einen Aufpreis eine Wunschnummer ermöglichen, lief es hier ganz anders. First come, first serve, wobei dieses Vorgehen den Vorteil hatte, dass die Helferin nicht großartig suchen musste, sondern einfach unter ihrem Tisch die nächste Marathonnummer hervorzog und mir zuwies.

Geschickt wurde man von dort aus durch einen Zugang geleitet, an dem man angeblich noch einmal seine Nummer zu überprüfen hätte, um schließlich nur mittels Gang über die Expo aus der Halle herauszukommen. Diese war voll, wird mir jedoch vermutlich nicht lange in Erinnerung bleiben. Einzig die Tatsache, dass es bei so einer großen Veranstaltung nur einen Stand gab, an dem man Gels kaufen konnte, fand ich erstaunlich. Dafür waren wie immer die üblichen Vertreter zu finden, aber auch außergewöhnlichere Stände wie ein Hundefutteranbieter sowie ein Whirlpool-Anbieter inklusive mit Wasser gefülltem Beispielobjekt.

Ich selbst machte mich von dort aus auf den Weg in mein Hotel, das lediglich 45 Minuten Fußmarsch entfernt lag und praktischerweise nicht viel Orientierung von mir erforderte: Ich musste fast nur geradeaus gehen, um in das Zentrum von Reykjavik zu gelangen, dass mich ein wenig an Pisa erinnerte, wobei die Tulpen-Straßenlampen wohl eher zu Holland gepasst hätten.  Entgegen meiner Befürchtungen machte auch nicht alle Geschäfte schon zu früher Stunde am Wochenende zu. Insbesondere in der Innenstadt scheint man sich dem Tourismus angepasst zu haben, so dass es auf meinem Weg sogar zwei kleinere Supermärkte gab, die zu einer Kette mit 24-Stunden-Öffnungszeit gehörten – sieben Tage die Woche. Das war auch gut so. Ich schaffte es mal wieder keine Zahnpasta mitzunehmen. Dies entwickelt sich vermutlich zum ungewollten Running Gag dieses Projekts.

Geschafft von der Woche aß ich noch etwas auf dem Hotelzimmer und fiel ins Bett. Der Marathonstart sollte nur fünf Minuten fußläufig von mir entfernt liegen, auch wenn ich davon in der Stadt nichts mitbekam. Diesen Eindruck war ich nun aber auch schon vom San Francisco Marathon gewöhnt. Ich war gespannt, was Island mir zu bieten hätte.

Startunterlagen und Laufsachen für den Reykjavik Marathon 2019
Startunterlagen und Laufsachen für den Reykjavik Marathon 2019

Frank

2 Kommentar zu “Reykjavik Marathon 2019: Laufen in der nördlichsten Hauptstadt Europas

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