Von Hannover nach Pisa wären es auf direkter Strecke über 1.200 km, die bewältigt werden wollten. Eine Strecke, die gut ein Drittel der Tour de France ausmachen würde und somit insbesondere vor einem Marathon wohl von niemandem mit dem Fahrrad bewältigt wird. Doch während Felix de Luxe davon sang, mit dem Taxi nach Paris zu fahren, musste ich im Vorfeld des Pisa Marathons 2018 gezwungenermaßen in die Pedale treten, wenn auch bei weitem nicht die gesamte Strecke von Hannover bis nach Pisa.
Marathon: Eine tödliche Herausforderung?
Ein Marathon ist für den Körper fraglos eine große Herausforderung. Diskussionen, ob dies überhaupt gesund sei, wenn man in 80 Marathons um die Welt laufen möchte, bleiben auch in meinem Umfeld nicht aus. Diskussion ist dabei vermutlich das falsche Wort, denn per Definition würde es sich dabei um ein Gespräch handeln. Bisher hatten aber die Leute eigentlich nur das Bedürfnis, mich darauf hinzuweisen, dass es ganz sicher nicht gesund sei – ohne zu wissen, wie ich die Reise(vorbereitungen) angehe.
Das soll nicht als Verharmlosung missverstanden werden. Die Strecke von 42,195 km am Stück zu laufen, stellt eine enorme körperliche Belastung dar, wobei das auf die eine oder andere Weise vermutlich für jeden sportlichen Wettkampf gilt. Doch während bei Hallenhalma vermutlich noch niemand aufgrund körperlicher Belastung zusammengebrochen oder sogar gestorben ist, verzeichnen internationale Untersuchungen im Marathon-Sport im Schnitt ein bis zwei Todesfälle pro 100.000 Läufern.
Eine Zahl, die man sicherlich nochmal in einem separaten Artikel diskutieren könnte, schließlich sprechen wir nicht von 100.000 guttrainierten Anfang 20-jährigen, die man über fünf Stunden beobachten würde, sondern eine sehr divergente Gruppe. Trainingszustand, Gesundheitszustand und schlichtweg das Alter sind sicherlich Faktoren, die solche für manche vielleicht dramatischen Ergebnisse forcieren werden.
Vermutlich wird einer der Gründe auch dieser sein, dass man bei einem Marathon in der Regel nur ein digitales Häkchen davon entfernt ist, als fit genug für den Marathon zu gelten. Egal ob Europa, Nordamerika, Asien oder Australien: Durch die Planungen und bereits durchgeführten Anmeldungen für 2019 weiß ich inzwischen, dass man quasi überall auf der Welt nur ein Kästchen ankreuzen muss, dass man keine gesundheitlichen Einschränkungen hat und in der Lage ist, den Marathon zu finishen.
Der Medizincheck vor dem Pisa Marathon 2018
Anders jedoch in Italien: Nachdem der Kassel, sowie der Graz Marathon gut über die Bühne gingen, entschied ich mich im Oktober relativ spontan für einen Start beim Pisa Marathon 2018. Der Zeitpunkt war perfekt: Für Januar war bereits der Dubai Marathon 2019 gebucht und der New York Marathon 2018 wäre ebenfalls bereits einige Wochen in der Vergangenheit gewesen. Ich hätte also ausreichend Zeit zur Erholung gehabt und die Gelegenheit Italien auf meiner Marathon-Länderliste abzuhaken.
Doch wie es auf einer Reise in unbekannte Gefilde üblich ist, wird man immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert und so lernte ich mit Pisa stellvertretend für italienische Marathons zwei Besonderheiten kennen, die offenbar üblich sind, wie ich im Nachhinein feststellte.
Zum einen benötigt man als Starter die Lizenz eines Leichtathletikverbandes. Während man beim deutschen Volkssport Marathon relativ unbürokratisch sich einfach beim Veranstalter anmeldet, könnte man meinen, dass die Italiener es etwas wettkampforientierter angehen. Allerdings war Hürde relativ leicht zu nehmen, indem eine kleine Extra-Gebühr für die Tageslizenz gezahlt wurde. Zum anderen war die Bestätigung der körperlichen Gesundheit an ein Formular gebunden, dass von einem Arzt ausgefüllt werden solle; inklusive möglicher Haftung durch den Mediziner – inwieweit dies im Zweifelsfall tatsächlich umsetzbar wäre, sei einmal dahingestellt.
Doch so stand ich vor Herausforderung, einen Arzt zu finden, der mir meine Gesundheit bestätigt. Mich gesundschreibt, wenn man es so bizarr ausdrücken möchte. Mein Hausarzt war dazu schon einmal nicht bereit, was vermutlich auch der Tatsache geschuldet war, dass ich fast nie zum Arzt gehe und man in der Praxis auch gar nicht wusste, dass man mein Hausarzt ist. Das letzte Mal war ich vor 1,5 Jahren für eine Impfung dort gewesen. Also musste ein Belastungs-EKG her. Ich brauchte einen Termin beim Kardiologen, was knapp zwei Monate vor dem Pisa Marathon gar nicht so einfach war, wie ich es mit meinem jugendlichen Leichtsinn vermutet hätte.
Nachdem man mir zunächst Februar 2019 anbot, erklärte ich meine Situation und warum ich unbedingt in die Pedale treten wolle. Ich kenne die Terminkalender von Ärzten nicht, aber offenbar gibt es für solche Situationen dann doch noch immer Möglichkeiten, so dass ich doch noch einen rechtzeitigen Termin bekam: sechs Tage vor dem Pisa Marathon 2018. Auch wenn ich keine Bedenken hatte, kam dennoch das Gefühl des Damoklesschwertes in mir auf. Flug, Hotel und Teilnahmegebühr waren schließlich allesamt bereits bezahlt und dennoch lag es nicht am mir, ob ich überhaupt antreten dürfte.
Nachdem ich also wenige Tage zuvor das Ergebnis meiner Blutuntersuchung erhalten hatte, gemäß der ich meinen Eisenwert verbessern könnte – als Sportler, der nicht regelmäßig Fleisch ist, nichts Ungewöhnliches – traf ich am Montag vor dem Lauf in der Praxis des Kardiologen ein… und wartete zunächst. Offenbar sind Termine für Ärzte heutzutage mehr Orientierung als tatsächliche Zusagen, so dass das komplette Wartezimmer vor mir abgearbeitet wurde. Inklusive zwei Personen, die erst nach mir erschienen. Diese kleine bissige Bemerkung soll nicht missverstanden werden. Vermutlich durfte ich froh sein, überhaupt so schnell einen Termin bekommen zu haben, andererseits verplane ich meinen Tag auch und hätte die Stunde im Wartezimmer auch anders investieren können.
Doch anstatt direkt auf das Belastungs-EKG zu steigen, erfolgte zunächst ein kurzes Gespräch mit dem verantwortlichen Arzt, der selbstverständlich die Frage, ob das denn gesund sei, beinhaltete, ohne dass ich das Gefühl hatte, dass an einer tatsächlichen Erörterung meines Vorgehens Interesse bestand. Die demographische Verteilung der Patienten, die ich im Wartezimmer zu Gesicht bekam, ließ mich aber auch bereits vermuten, dass normalerweise andere Herausforderungen vom medizinischen Personal gemeistert werden müssten. Vorsichtig geschätzt, war ich halb so alt, wie alle andere Patienten, die ich an diesem Tag zu sehen bekam.
Nachdem wir vom Marathon-Thema auch schnell wieder abgewichen waren und meine berufliche Situation als promovierter Polizeibeamter offenbar mehr Raum für Smalltalk bot, folgte zunächst als Ruhe-EKG sowie ein Ultraschall der inneren Organe. Also Dinge, die bereits im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung einige Tage zuvor durchgeführt wurden. Bis ich schließlich auf das Radergometer durfte.
Die nette Arzthelferin erklärte mir kurz das Vorgehen, das ich von Bundeswehr und Polizei in der Vergangenheit bereits bekannte, und wir unterhielten uns locker über den Grund meines Erscheinens und was ich sonst sportlich treiben würde, da ich oberkörperfrei erkennbar nicht nur die Laufschuhe anheben würde. Die Wattzahlen wurden gemäß Untersuchungsprotokoll angehoben, bis zuletzt schließlich 310 Watt getreten werden mussten, die ohne Frage einiges an körperlicher Arbeit erforderten, aber den Puls weiterhin nicht über 160 treiben konnten.
Das sollte gemäß Arzthelferin genügen, so dass das EKG an dieser Stelle abgebrochen wurde, ohne dass man versuchte die maximale Belastung auszureizen. Der Ultraschall war unauffällig, der Arzt war zufrieden, ich war erleichtert, der Pisa Marathon 2018 konnte kommen.
Hannover – Amsterdam – Rom – Pisa: Bitte kein London 2.0
Eingangs schrieb ich, dass es mit dem Auto etwas über 1.200 km bis nach Pisa wären. Luftlinie wurden es für mich dagegen deutlich mehr. Von Hannover sollte der Flug zunächst nach Amsterdam und von dort aus nach Rom gehen, bis der dritte Flug mich schließlich wirklich nach Pisa bringen sollte. Klingt nicht nur nach einer ganz schönen Tortur, sondern war auch mit einer Reisedauer von 8,5 Stunden veranschlagt. Zuzüglich dem Check-In am Flughafen Hannover sowie der Reise dorthin wäre ich mit dem Auto fast schneller in Pisa gewesen.
So aber schwebte ein neues Damoklesschwert über meinem Kopf, nachdem das erste pariert werden konnte. Während ich die Anreise zum New York Marathon 2018 noch ausführlich beschrieb, verlor ich bisher über die Rückreise kein Wort. In gewisser Weise hatte es mir auch die Sprache verschlagen. Von einer ewig langen Taxifahrt zum falschen Gate, einer Ersatzmaschine mit lediglich finnischem Unterhaltungsprogramm und einem verpassten Anschlussflug in London bot die Rückreise alles, was es benötigt, um die Lust am Reisen zu verlieren.
Insbesondere das Verpassen des Anschlussfluges in London zerrte an meinen Nerven. Nachdem die Maschine aus New York mit etwas Verspätung landete, hatten es wie üblich alle Passagiere eilig die Gänge zu besetzen, um im Anschluss in Seelenruhe aus der Maschine zu steigen. Ich hingegen hatte lediglich 55 Minuten Zeit, um zur nächsten Maschine zu gelangen. Selbst mir als Wenigflieger war bewusst, dass dies ein knappes Zeitfenster war und so kam es, dass ich nicht mehr zur Sicherheitskontrolle gelassen wurde, obwohl noch über eine Dreiviertelstunde Zeit gehabt hätte. Die automatisierte Entscheidung der elektronischen Gates überraschten offenbar auch die Angestellten der Fluggesellschaft. Scheinbar hatte ich meinen Flug um wenige Sekunden verpasst, obwohl streng genommen noch genügend Zeit gewesen wäre.
Und so strandete ich am Londoner Flughafen für fast 7 Stunden, bis die nächste Maschine mich endlich nach Hannover brachte. Am Anfang der Reise in 80 Marathons um die Welt war ich mir bewusst, dass mir so etwas früher oder später passieren wird. Letztendlich konnte ich aber nicht sagen, ob ich froh war, dass es erst auf der Rückreise geschah oder ich das Ganze lieber auf dem Hinweg erlebt hätte. Schließlich wäre in New York genug Zeit gewesen, sich bis zum Marathon von den Strapazen zu erholen.
Auf dem Flug zum Pisa Marathon 2018 stand für mich jedoch fest, dass ich auf der Hinreise gerne auf solche Überraschungen verzichten könnte und die Tatsache, dass ich in Rom nur 45 Minuten zum Umstieg hatte, machte mich zumindest ein wenig nervös. Ich kannte den Flughafen nicht und wusste nicht, wie übersichtlich sich dort alles gestalten würde.
Glücklicherweise sollte dann alles ohne Probleme klappen. Während ich in Amsterdam lediglich 30 Minuten von Gate A bis zum Ende von Gate D benötigte, musste ich in Rom quasi nur die Treppen hinuntersteigen, um zu meinem Flieger zu gelangen, was kein Problem darstellte. Die Italiener dagegen scheinen die Bahn oder andere Fortbewegungsmittel zu bevorzugen, um von Rom nach Pisa zu gelangen. Zumindest war der Flieger so leer, wie ich es zuvor noch nie gesehen hatte. Es kam also ein wenig Privatjet-Dekadenz auf. Zumindest was die Privatsphäre in meiner Reihe betraf.
Die Ankunft in Pisa
In Pisa gestaltete sich die Ankunft sehr unkompliziert. Vom Flughafen fährt eine Shuttle-S-Bahn direkt zur Pisa Central Station von wo aus man direkt in die Innenstadt gelangt. Diese hatte einen überraschend nostalgischen Charme, wie man sich eine alte italienische Stadt vorstellen würde. Alte Fassaden, ein Boden aus Steinplatten in der Einkaufspassage und rechts und links enge Gassen.
In ähnlichem Ambiente präsentierte sich mein gebuchtes Hotel, das ich in erster Linie aufgrund seiner Lage wählte. Es lag genau zwischen Flughafen und Startpunkt am nächsten Morgen und der berühmte Schiefe Turm von Pisa war auch in der Nähe. Als ich es dann allerdings betrat, wusste ich zunächst nicht, was ich vom Hotel halten sollte. Es fühlte sich an wie eine Zeitreise. Nostalgische Möbel, Betten mit Metallrahmen und ein echter Schlüssel für das Zimmer. Keine Karte, kein Code, ein großer Schlüssel, den man ins Schloss stecken und umdrehen musste. Ich muss zugeben, dass ich mir nicht sicher bin, was gewollt und was einfach nur nicht erneuert war. Vermutlich verschwammen die Grenzen ein wenig.
Lange Zeit blieb mir auch nicht zum Nachdenken. Obwohl ich bereits um 4 Uhr morgens das Haus verlassen hatte, konnte ich erst kurz nach 15 Uhr meine Sachen im Hotel ablegen und musste noch zur Messe, um meine Startunterlagen zu holen. Auch diese war glücklicherweise schnell erreicht, so dass dem Start beim Pisa Marathon 2018 nichts mehr im Wege stehen sollte.
Auf dem Rückweg einen kleinen Umweg, um den schiefen Turm inklusive der Verrenkungen ausführenden Touristen auch einmal im echten Leben zu sehen, und zurück ins Hotel diese Zeilen beenden. Die Anreise zum Pisa Marathon 2018 ist damit geschafft und ich werde noch schauen, was es in der Altstadt zu Essen gibt. Ich freue mich auf den morgigen Tag und bin gespannt auf das zwanzigste Jubiläum dieses Laufs.
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