Die Reise nach Philadelphia gestaltete sich unkompliziert. Über London ging es dieses Mal mit British Airlines bis zur Ostküstenstadt. Während ich die ersten beiden Male, als ich in die USA eingereist war, gut zwei Stunden mit einer Reihe an Touristen auf den Zutritt zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten wartete, ist Philadelphia offenbar zumindest im November kein beliebtes Ziel für Auswärtige. In Kombination mit einer elektronischen Überprüfung meiner Daten dauerte die gesamte Abfertigung dieses Mal nicht einmal 30 Minuten. So schnell war ich noch in kein Land außerhalb Europas in den letzten Monaten eingereist.
Schwarzfahren in Philadelphia
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich es trotz verspäteten Start des Flugzeuges doch noch am selben Abend schaffen könnte, meine Startunterlagen für den Marathon abzuholen, so dass ich meine Koffer schnappte und mich zügig aus dem Flughafengebäude heraus bewegte. Direkt vor der Ausgangstür befand sich die Haltestelle der SEPTA, dem Zugsystem innerhalb Philadelphias, und nachdem ich außerhalb keine Möglichkeit erkannte, ein Ticket zu kaufen und andere Menschen mit Koffer auf Nachfrage meinten, sie würden vermuten, dass man in der Bahn sein Ticket erwerben könne, stieg ich in das Schienenfahrzeug ein.
Wie sich herausstellte, hätte die Fahrt acht Dollar gekostet und man hätte diese auch beim Kontrolleur bezahlen können. Der Konjunktiv macht aber vielleicht bereits deutlich, dass ich an diesem Tag ein tolerierter Schwarzfahrer blieb: Nachdem neben mir zwei Männer, die ich am Bahnhof noch angesprochen hatte, abgerechnet wurden, war ich an der Reihe. Der SEPTA-Mitarbeiter nannte mir den Preis, nachdem ich ihm sagte, bis wohin ich fahren wollte, und erklärte mir dann, dass er nur Bargeld nehmen würde.
Ich hatte lediglich eine Kreditkarte und 20 Euro im Portemonnaie. Als ich dies erklärte und mein Geld vorzeigte, sah ich mich bereits an der nächsten Haltestelle aussteigen, um meine Personalien gegenüber der örtlichen Polizei anzugeben. Ich hatte weniger Angst vor der amerikanischen Strafverfolgung. Vielmehr sah ich den Abend unnötig länger werden, doch glücklicherweise kam es anders. Mit einem leicht genervten Blick, der genauso gut Mitleid mit dem dämlichen Touristen (mir) hatte ausdrücken können, winkte der Kontrolleur ab und ich durfte die Fahrt bis zu meiner Haltestelle fortsetzen.
Weniger Meter von meiner Zielstation entfernt, lag auch bereits das Hotel und da ich tatsächlich immer noch mehr als ausreichend Zeit hatte, entschloss ich mich trotz der langen Anreise noch schnell meine Unterlagen abzuholen, um am nächsten Tag keinen Zeitdruck zu verspüren. In der bereits eingebrochenen Dunkelheit fiel mir auf, was sich am nächsten Tag bestätigte sollte: Philadelphia hatte in gewisser Weise etwas von New York… nur in einer kleineren Variante.
Gleiches galt für die vom Hotel aus gesehen nur wenige Gehminuten entfernte Marathonmesse. Eine knappe Stunde, bevor die Halle geschlossen wurde, waren noch eine Reihe an Menschen beim Abholen ihrer Nummer anzutreffen, während die ersten Betreiber bereits begannen, ihre Stände für diesen Tag abzubauen. Inzwischen habe ich bereits eine Vielzahl an Messen zu sehen bekommen und die Variante des Philadelphia Marathons wirkte aufgeräumt und übersichtlich, bot allerdings wenig Highlights.
Ich war insbesondere dahingehend überraschend, dass nur wenige Veranstalter anderer Marathons bei so einem großen Rennen vertreten waren. Bis auf Atlanta und Ottawa fiel mir kein anderer Lauf auf, was ich etwas schade fand. Der ein oder andere Lauf, der auf meiner „Würde ich gerne einmal Laufen!“-Liste steht, ist nur durch ihren Auftritt bei einer Marathonmesse auf diese gelangt.
Rocky, Liberty Bell und die amerikanischen Gründerväter
Am nächsten Morgen ging es gegen 8 Uhr auf die Straßen Philadephias und während sich die Luft am Abend zuvor noch relativ mild anfühlten, machte das Wetter nun gleich einmal deutlich, worauf man sich am nächsten Tag einstellen dürfte. Die Temperaturen lagen knapp über dem Gefrierpunkt und ließen eine unangenehme Kälte verspüren. Sofort begann in meinem Kopf die Überlegung, was ich am Marathontag anziehen sollte. Auch nach all den Läufen ist dies für mich immer noch eine der größten Herausforderungen bzw. Faktoren, denen ich mit einer gewissen Unsicherheit begegne.
Parallel machte ich mich auf den Weg zu meinem ersten Ziel, das ich einmal im Leben gesehen haben wollte, wenn ich schon einmal in Philadelphia bin. Die berühmte Treppe, die Rocky nach oben lief, um anschließend die Faust in die Luft zu halten, anstatt in das dahinterliegende Museum of Modern Arts zu gehen. Knappe 30 Minuten Fußweg genügten und ich war am Aufstieg, den einst das fiktive Idol unzähliger Jugendlicher filmreif bestieg. Trotz der frühen Uhrzeit konnte man den ein oder anderen bereits dabei beobachten, wie er es Rocky gleichtat und so viel sei verraten: Ich sprintete die Treppen nicht nach oben.

Dennoch folgte auch ich den Spuren des Italian Stallion bis ganz nach oben, wo der fiktive Boxer heutzutage seinen ganz persönlichen Falk of Fame besitzt. Die Fußsohlen sind in die Steine des oberen Plateaus eingefasst und jeder Besucher kann den Ausblick genießen, den Rocky einst zu sehen bekam. Ich finde es tatsächlich faszinierend, wie ein popkulturelles Erzeugnis solch wortwörtliche Fußspuren hinterlassen kann, das mit einer Statue unmittelbar neben dem Museum of Modern Arts auf eine weitere Weise seinen Platz in der Öffentlichkeit genießt.
Dabei ist Philadelphia ja keinesfalls eine Stadt, die kulturhistorisch nichts zu bieten hätte, wie ich im Rahmen meiner Anreise zum Philadelphia Marathon bereits beschrieb. Die Gründung einer der heutzutage zweifelsohne einflussreichsten Nationen dieser Welt wird möglicherweise nicht in einem pompöse New Yorker Stil inszeniert, aber ist an den verschiedensten Plätzen zu beobachten, wenn man weiß, wo man hinschauen muss.
Alles andere als ein Insiderwissen war hingegen die berühmte Freiheitsglocke, die auch mein nächstes Ziel war. Zu Fuß ging es von den Rocky Stairs zur Liberty Bell, an der sich bei meinem Eintreffen bereits eine kleine Schlange gebildet hatte, die den Sicherheitscheck durchlaufen wollte, um einen Blick auf die vielleicht berühmteste Glocke der Welt zu werfen. Die Menschen Philadelphias sind stolz auf ihr Artefakt, das bekommt man in den verschiedensten Varianten präsentiert, indem die Glocke omnipräsent an Geschäften, Straßenschildern und viele anderen Gegenständen dargestellt wird. Mich würde interessieren, wie die Stimmung in Philadelphia war, als Taco Bell vermeintlich die Namensrechte an der Glocke aufkaufen wollte und diese in Taco Liberty Bell umgenannt hätte.

Das Original war dennoch recht beeindruckend. Während ich beim schiefen Turm von Pisa ein wenig den Mona-Lisa-Effekt verspürte, wie ich es nenne, traf dies hier ganz und gar nicht zu. Ich hätte mir die Glocke weniger mächtig, weniger beeindruckend vorgestellt. Ein Foto wie fast alle Amerikaner, die vor Ort waren, auf dem ich vor der Glocke posierte, brauchte ich nicht, aber ich kann nun auch dieses kulturhistorische Werk von meiner Lebensliste streichen. Nicht, dass ich ein führen würde, aber vielleicht überkommt es mich im Alter ja doch noch einmal.
Den Abschluss des Tages bildete schließlich eine Stadtrundfahrt mit einem der bekannten Bus-Unternehmen, die es quasi in jeder größeren Stadt der Welt inzwischen gibt. Ich finde dies immer eine gute und einfache Möglichkeit, die wichtigsten Punkte der Stadt präsentiert zu bekommen, ohne mich im Vorfeld großartig einlesen zu müssen. Mag sein, dass mir die kleinen Insider mit dieser Einstellung verborgen bleiben, aber ich sagte ja schon, dass ich mehr der Typ bin, der wegen den Rocky Treppen nach Philadelphia kam. Dennoch, das muss man auch sagen, bot Philadelphia nicht so viel Sehenswertes wie beispielsweise eine Hafenrundfahrt in New York oder das Sightseeing in San Francisco.

It’s raining man! Oder doch nicht?
Doch was sollte mich am nächsten Tag erwarten? Auf der Fahrt im Bus machte der Guide schon mehrfach zynische Bemerkungen darüber, dass man am nächsten Tag den Regen genießen solle und tatsächlich kündigte die Wetter-App mit hoher Wahrscheinlichkeit pünktlich zum Start des Philadelphia Marathons Regen an. Super. Nicht. In weiser Voraussicht hatte ich zwar meine Regenjacke eingepackt, allerdings war ich nun noch mehr verunsichert, was ich anziehen sollte. Und viel wichtiger: Wie sollte ich halbwegs trocken zum Start gelangen?
Dieser lag eine gute halbe Stunde vom Hotel entfernt und ich hatte wenig Bedürfnis, klatschnass in der Kälte zu stehen. Also entschloss ich mich, einen Regenschirm zu kaufen. Klingt simpel? Stellte sich als größte Herausforderung auf dieser Reise dar. Nachdem ich in drei verschiedenen Geschäften gewesen war und die Google-Suche mich nach Möglichkeiten, einen Regenschirm in der Nähe kaufen zu können, im Stich ließ, fand ich endlich einen Supermarkt, der zumindest simple Regenponchos anbot.
Für alle Eventualitäten des nächsten Tages gerüstet, holte ich mir mein zweites Halo Top auf dieser USA-Reise und begab mich endgültig in mein Hotelzimmer. Der Rücken fühlte sich bereits wieder deutlich besser als noch am Tag zuvor an und ich lag mich ins Bett. Wirklich bereit fühlte ich mich für den Philadelphia Marathon noch nicht, aber vielleicht würde eine größere Portion Schlaf daran etwas ändern können.

One thought on “Philadelphia Marathon 2019: Small Bell anstatt Big Apple?”