Wenn man einen Blog schreibt, so sollte man etwas zu erzählen haben. Zumindest mache ich mir seit gut einem Jahr regelmäßig darüber Gedanken, worüber man schreiben könnte, was andere interessieren würde, wie man einen Mehrwert bieten könnte und vor allem: Wie man seinen Text anfängt. Oftmals schwirren mir verschiedene Ideen im Kopf herum und nicht immer mag der Einstieg der Gelungenste geworden sein. Doch manchmal sorgt auch einfach das Leben dafür, dass man etwas zu erzählen hat. Oder eben die Deutsche Bahn…
Eine kraftlose Woche, um mit voller Kraft vorauszugehen
Bereits im letzten Beitrag teilte ich meine Gedanken über meinen mentalen und körperlichen Zustand. Wie ich schrieb, kreisten die Gedanken nach dem Reykjavik Marathon vor allem um einen vorzeitigen Abbruch des Wettkampfjahres 2019. Seit Wochen war der Wurm drin und auch wenn ich bisher die Ziellinie stets unter vier Stunden überschreiten konnte, fehlte mir seit geraumer Zeit der Flow. Hätte man mir in Island am Nachmittag des Marathons einen Zettel unter die Nase gehalten, dass ich auf eine Teilnahme am Berlin Marathon verzichten würde, hätte ich diesen vielleicht sogar umgehend unterschrieben.
Seitdem sind nun vier Wochen ins Land gegangen und die mentale Erschöpfung der letzten Wochen, die sich auch körperlich bemerkbar machte, ist nicht nur überwunden. Vielmehr fühle ich mich so gut wie schon seit Monaten nicht mehr. Es fasziniert mich weiterhin, wie stark sich das wochenlange Schlafdefizit bemerkbar machte und wie groß die Auswirkungen von ein paar Wochen konsequentem Längerschlafen sind. Ich fühle mich nicht nur fit, ich bin zurück im Flow und die Vorfreude auf das Berliner Erlebnis ist so groß wie noch zu keinem anderen Zeitpunkt.
Entsprechend entschied ich mich, das Rennen ähnlich wie zuletzt den Hannover Marathon 2019 mit voller Ernsthaftigkeit anzugehen, was insbesondere im Zusammenhang mit der geplanten Teilnahme in zwei Wochen bei der Deutschen Meisterschaft des Bodybuildingverbands GNBF vom Timing her gut passte. In Worten ausgedrückt bedeutete das, dass ich am letzten Sonntag begann Kalorien und insbesondere Kohlenhydrate auf ein Minimum zu senken. Speedweek nennt sich das Ganze in meinem Buch Ernährung für (Kraft-)Sportler* und ist nicht nur eine effiziente Möglichkeit, in kürzester Zeit maximalen Fettverlust umzusetzen, sondern auch eine sinnvolle Maßnahme, wenn man die Kohlenhydratspeicher der Muskulatur für den Marathon maximal füllen möchte.

Entsprechend lief ich am Sonntagmorgen meinen letzten 20-km-Lauf, der so angenehm verlief, wie schon lange keiner zuvor, und aß im Verlauf des weiteren Tages jedoch nicht wirklich viel. Dienstag folgte ein reguläres Krafttraining und Mittwoch eine 5000-Meter-Rudern-Einheit auf dem Concept 2, bevor es am Freitag erstmals wieder Kohlenhydrate gab. Die Krafteinheiten setze ich seit einigen Wochen inzwischen als Koppeltrainings um. Das bedeutet, ich führe zunächst eine reguläre Krafteinheit durch und gehe im Anschluss eine Stunde mit einer bewusst langsamen Pace laufen. Die Konsequenz daraus ist zumindest schon einmal, dass ich diesen Monat im Anschluss an den Berlin Marathon erstmals 200 km vollgemacht haben werde. Das ist – soweit ich es im Überblick habe – bisher das größte Laufpensum, das ich innerhalb eines Monats abspulte.
In Kombination mit dem Entladen der Kohlenhydrate bekam ich dies die letzten Tage auch auf eine unerwartete Art und Weise zu spüre. Wer das Gefühl kennt, wenn die Muskulatur langsam wirklich leer wird, was durch eine normale Trainingseinheit praktisch nie passiert, weiß vermutlich auch, wie es ist, wenn die Muskeln nicht mehr so arbeiten wollen, wie der Körper es vorhat. Im Klartext bedeutet das, dass mein vastus medialis (Teil des Quadriceps) nicht mehr regulär anspannte. Dies wiederum führte dazu, dass mein Knie sich instabil anfühlte und das Gehen phasenweise zum Eiertanz wurde. Besserung brachte hier vor allem ein Kinesiotape.
Wie ich schon in einem früheren Beitrag darstellte, können diese vor allem bei der bewussten Wahrnehmung unterstützen. Das Tape lieferte auf diese Weise tatsächlich die gewünschte Stabilität, ohne dass das Material dafür verantwortlich gewesen wäre. Vermutlich werde ich morgen erneut zur Vorsorgen das Knie tapen, um im Laufe des Rennens nicht überrascht zu werden. Gestern gab es nun über 600 Gramm Kohlenhydrate und auch heute wird noch einmal geladen, bevor ich morgen schließlich durch Berlin laufe. Ich mag Kipchoge nicht annähernd gefährlich werden, aber ich liebäugle zugegeben mit einer neuen persönlichen Bestzeit. Ob mir dies gelingen wird, hängt aber wie so häufig nicht nur von mir selbst ab.

Zänk juh vor träwelling wiff Deutsche Bahn zur Marathonmesse
Ein Puzzleteil meines Plans war eine möglichst stressfreie Anreise. Ich entschloss mich ein Ticket bei der Deutschen Bahn zu buchen und wer die einleitenden Zeilen gelesen hat, kann sich vermutlich schon denken, welchen Evergreen auch ich anstimmen könnte. Nachdem ich zunächst am S-Bahnhof feststellte, dass meine Verbindung zum Hauptbahnhof Hannover ausfallen würde, zückte ich mein Handy, um mittels App nochmals zu gucken, wann genau denn mein Zug aus Hannover abfahren würde… um festzustellen, dass auch dieser ausfällt. Genau die Art von Stress, die man sich bei einer Anreise zu einem Wettkampf nicht wünscht.
Inzwischen bin ich jedoch bereits einiges gewöhnt. Reisen härtet ab und wer immer auf die Deutsche Bahn verbal eintritt, steigt ohne Frage nicht regelmäßig in ein Flugzeug. Der internationale Luftverkehr steht der Zuverlässigkeit der Deutschen Bahn in nichts nach, wie ich nun bereits mehrfach feststellen durfte und auch beim deutschen Gleisunternehmen wird niemand mit diabolischem Grinsen dasitzen und am Wochenende spontane Zugausfälle planen. So nahm ich auch diese ungeplante Herausforderung nach einer kurzen, von Stress geprägten Phase der Umorientierung gelassen hin. Der gestellte Ersatzzug hatte einen Charme der 80er Jahre, aber zumindest hatte ich einen Sitzplatz.

Nicht ganz so alt, aber dennoch mit ähnlichem Charme präsentierte sich das Gelände der Marathonmesse des Berlin Marathons. Mit der völlig überfüllen U-Bahn ging es zum Gelände des Flughafen Berlin-Tempelhof, das seit 2008 nicht mehr für den Passagierverkehr genutzt wird. Nach dem New York Marathon wird Berlin meine zwei Major Veranstaltung sein, so dass ein Vergleich sicherlich gerechtfertigt ist.
Die Messe zum New York Marathon war nach fast schon bescheidenen Eindrücken in Hannover, Kassel und Graz, die ich zuvor gesammelt hatte, eine beeindruckende Veranstaltung. Inzwischen besuchte ich einige Marathons, allerdings empfand ich die Messe in Berlin heute tatsächlich am gelungensten. Ich weiß nicht, ob es am Samstagnachmittag oder dem schlauchartigen, weitläufigen Aufbau lag, aber die Messe war angenehm gefüllt, ohne überfüllt zu wirken und ich selbst hatte ausreichend Platz und Zeit zwischen den verschiedensten Anbietern zu schlendern. Insbesondere beim Nahrungsergänzungsmittelmarkt, den ich im Bodybuilding und Kraftsport seit über zwei Jahrzehnten kenne, empfinde ich die Parallelwelt der Läufer immer wieder spannend.
Bei der Abholung der Startnummer wurde besondere Sorgfalt an den Tag gelegt. Zunächst bekam man – nach Vorzeigen von Anmeldebestätigung und Ausweis – ein Band für das Handgelenk, ohne dass es am morgigen Tag keinen Zutritt zum Marathon geben solle. Anschließend durfte man auf die Messe und konnte ganz am Ende seine Startnummer abholen. Erneut war es jedoch die Voraussetzung zunächst sein Bändchen beim Zutritt zu zeigen und den Ausweis bei der Nummernabholung zu präsentieren. Offenbar hat man in Berlin große Bedenken vor dem Handel mit Startnummern, so dass hier deutlich mehr Mühe in die Überprüfung der Teilnehmer gesteckt wird, als es beim New York Marathon der Fall war.Obwohl ich mir sicher bin, bei der Anmeldung eine Zielzeit angegeben zu haben, wäre ich laut Anmeldebestätigung für meinen ersten Marathon angetreten. Dies hatte zur Folge, dass ich im Block H hätte starten müssen, der gut eine Stunde nach dem Startschuss überhaupt erst die Startlinie überschritten hätte. Ich bin aus New York den Start in diversen Blöcke gewohnt. Das System war dort sogar deutlich ausgefeilter, aber so weit hinten und insbesondere so spät wollte ich mein Rennen dann doch nicht beginnen.
Glücklicherweise scheine ich nicht der einzige mit diesem Problem gewesen zu sein, so dass es sogar einen extra Schalter gab, an dem ein netter Helfer mittels Aufkleber die Zuweisung des Startblocks anpasste. Ich bekam ein Upgrade auf Block F, was Zielzeiten von 3 h 30 min bis 3 h 50 min entsprach. Bei aller Vorfreude und Euphorie weiß ich nicht, wie frisch ich am morgigen Tag tatsächlich sein werde und ich wollte nicht zum Hindernis für deutlich schnellere Läufer werden. Ich kritisierte dies in der Vergangenheit selbst häufig genug.
Im Anschluss ging es zurück ins Hotel, wo ich diese letzten Zeilen nun schreibe. In wenigen Stunden wird der Startschuss zu meinem 17. Marathon fallen und ich spüre, wie die Anspannung so langsam steigt. Der Entschluss, die eigene Bestzeit zu unterbieten, besteht weiterhin, wobei ich das Rennen nicht auf Krampf angehen werde. In zwei Wochen wird meine sportliche Leidens- und Leistungsfähigkeit bereits erneut gefordert sein, so dass ich nichts übers Knie brechen werde. Aber erst einmal hat Berlin all meine Aufmermerksamkeit.

Hau rein morgen!
Viel Erfolg in der Hauptstadt!
Wie wär’s demnächst mal mit 1-2 Sätzen zur Pre-Marathon-Nutrition für die laufinteressierten Hybrid-Jünger?
und Nutzung von Gels oder Riegeln während des Wettkampfs.
Bei einem HM habe ich Obst zu mir genommen sonst immer nüchtern gelaufen – habe noch ein wenig Angst vor KH Zufuhr während des Trainings, auch wenn ich über 2 Stunden unterwegs bin.
Bei dem Bild mit der Museumsinsel hast Du quasi genau vor meinem Büro gestanden…lach…hättest Du mal Bescheid gesagt, da wäre ein Käffchen drin gewesen 😉 VG Antonia
Berlin war insgesamt unnötig stressig, Koffein wäre da nicht förderlich gewesen 😄