Rendezvous mit dem Mann mit dem Hammer

Der Mann mit dem Hammer wird den meisten Läuferinnen und Läufern, die im Training und im Wettkampf längere Strecken absolvieren, bekannt sein. Ich erinnere mich selbst noch zu gut an die Zeit, als ich mich 2014 auf meinen ersten Hannover Marathon vorbereitete und das ein oder andere Mal von meiner heutigen Frau abgeholt werden musste, weil ich in den Zombie-Modus verfallen war. Zuletzt hatte ich vor fast genau drei Jahren eine Begegnung mit dem Mann mit dem Hammer. Heute sollte es erneut zum Aufeinandertreffen kommen.

Warum begegnet man dem Mann mit dem Hammer?

Die Antwort auf diese Frage ist leicht und hängt mit dem Energiestoffwechsel zusammen. Die Zellen des Körpers können (vereinfacht dargestellt) Kohlenhydrate und Fettsäuren zur Energiegewinnung nutzen. Kohlenhydrate können anaerob (also ohne ausreichend Sauerstoff) genutzt werden, wobei dies zur Übersäuerung des Muskels führt. Ein Supplement, das die Übersäuerung hinauszögern kann, ist Beta-Alanin, wie ich bereits in einem früheren Blog-Eintrag schrieb.

Ist dagegen ausreichend Sauerstoff vorhanden, können Kohlenhydrate und Fettsäuren verbrannt werden, was unterschiedlich effektiv und schnell geschieht. Bei einer Belastung mit etwa 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz werden in den ersten 20 Minuten insbesondere Kohlenhydrate verbrannt. Fett aus unserem Körpergewebe beginnt dagegen erst nach etwa einer Stunde einen relevanten Anteil einzunehmen. Zuvor nutzt der Körper aber bereits Fettsäuren, die im Muskelgewebe in Form von Fetttröpfchen gespeichert wurden. Die folgende Grafik aus meinem Buch Ernährung für (Kraft-)Sportler* verdeutlicht die Verteilung der Energieträger.

Energieversorgung bei ca. 80 Prozent des Maximalpulses

In der Praxis findet – auf den gesamten Körper bzw. den gesamten Muskel betrachtet – eine Mischversorgung statt, die von verschiedenen Faktoren abhängig ist. Belastung, Enzymproduktion, Erholungs- und Nährstoffversorgungstatus sind nur einige hiervon. Ob und wann der Mann mit dem Hammer kommt, hängt insbesondere von den Kohlenhydraten ab.

Insbesondere in den ersten 20 Minuten nutzt die Muskulatur die in den Glykogenspeichern gelagerten Kohlenhydrate. Nach und nach werden zunehmend auch Fettsäuren zur Energiebereitstellung genutzt. Die Effizienz der Fettverbrennung ist dabei insbesondere davon abhängig, wie trainiert unser Fettstoffwechsel ist. Die langen Einheiten, in denen wir Kilometer sammeln, sorgen für eine stetige Verbesserung. Gelangt der Fettstoffwechsel an seine Grenzen und versuchen wir die Intensität aufrechtzuerhalten, werden Kohlenhydrate benötigt.

Diese sind nicht in unendlicher Menge vorhanden. Die Muskeln können ca. 350 bis 500 Gramm Kohlenhydrate speichern, wobei hiervon nur ein Teil in den Beinen steckt. Die Beinmuskultur macht etwa 30 Prozent der körpereigenen Muskelmasse aus, so dass wir eher von rund 150 Gramm Kohlenhydraten ausgehen können, die bei vollen Speichern vorhanden sind. Während die Leber den Blutzuckerspiegel stabil hält und auf diese Weise Kohlenhydrate in den gesamten Körper gelangen können, werden die Glykogenspeicher nur von der jeweiligen Muskulatur genutzt. Herz, Core-Muskulatur und andere Körperbereiche haben also nichts von diesen 150 Gramm. Der gesamte Energieverbrauch des Körpers ist aber auch nicht allein auf diese wenigen Kohlenhydrate angewiesen.

Die Leerung im Rahmen der Belastung führt dazu, dass die Muskeln neue Kohlenhydrate aufnehmen können. Diese beziehen sie aus dem Blut, was unseren Blutzuckerspiegel beeinflusst. Im Blut sind im Normalzustand etwa fünf Gramm Kohlenhydrate gelöst. Essen wir Kohlenhydrate, steigt der Blutzuckerspiegel an. Gelangt dagegen keine neue Nahrung ins Blut, sinkt der Blutzuckerspiegel ab und muss von der Leber stabilisiert werden, indem diese aus ihren Speichern Kohlenhydrate abgibt. Ist der Abfall zu groß und wird dieser von unserer Leber nicht ausgeglichen, unterzuckern wir. Der Mann mit dem Hammer begegnet uns.

Der Mann mit dem Hammer beschreibt also nicht nur die Leerung der Kohlenhydratspeicher in der Muskulatur, die dazu führt, dass wir im schlechtesten Fall kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen können. Wir fühlen uns tatsächlich erschlagen, weil wir unterzuckert sind. Der Puls ist erhöht, kalter Schweiß macht sich bemerkbar, wir verspüren Unruhe und Heißhunger kommt auf. Ob man dem Mann mit dem Hammer schon einmal begegnet war, fragt sich niemand, der dieses Erlebnis bereits einmal hatte.

Warum begegnete mir der Mann mit dem Hammer?

Eingangs beschrieb ich bereits, dass ich letztmals 2018, als ich mich auf meinen dritten Hannover Marathon vorbereitete, dem Mann mit dem Hammer begegnete. Insbesondere seit Beginn dieser Reise in 80 Marathons um die Welt blieb ich davon verschont. Was war dieses Wochenende anders?

Eine Trainingseinheit muss immer im Kontext betrachtet werden. Neben Alltag und Regeneration übt insbesondere die restliche Trainingsplanung einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit in einer Trainingseinheit aus. Wie in meinem Buch Hybridathlet* dargestellt, trainiere ich zurzeit fünfmal die Woche. Während Dienstag schwere Kniebeugen und Mittwoch ein 10-Kilometer-Lauf die Beine und damit die Kohlenhydratspeicher der Muskulatur fordern, ist Donnerstag Ruhetag. Am Freitag wird schwer gehoben, Samstag wird ein flexibles Training umgesetzt und jeden Sonntag steht der lange Nüchternlauf an.

Hybridathlet: Die Symbiose aus Kraft- und Ausdauertraining

Vor der Einheit wird nichts gegessen. Die Beinmuskulatur ist darauf angewiesen, spätestens am Vortag mit Kohlenhydraten versorgt worden zu sein. Genau das geschah gestern nicht. Neben Bewegung und Regeneration tracke ich auch meine Kalorienzufuhr und hatte am Freitag ungeplant im Zuge einer sozialen Verpflichtung über die Stränge geschlagen. Um mich am Sonntag nach dem Lauf nicht einschränken zu müssen, beschloss ich, die Kalorien am Samstag einzusparen.

Gleichzeitig gab es am Samstag eine ungewohnte Trainingseinheit, die per se nicht belastender als meine sonstigen Trainings war, jedoch die Muskulatur anders forderte, was sich zum Teil in Muskelkater in den Waden bemerkbar machte. Keine optimalen Voraussetzungen für einen Nüchternlauf über 35 Kilometer. Andererseits steht der Kolshorn Marathon vor der Tür, so dass die Trainingsplanung einen klaren Rahmen setzte.

34 Kilometer laufen, 1 Kilometer gehen und 2 Kilometer von zu Hause entfernt

In den letzten Jahren bin ich so viele verschiedene Wege bei mir in der Gegend gelaufen, dass ich in der Regel jede Strecke kenne und die Länge einschätzen kann. Gleichzeitig versuche ich in den einzelnen Einheiten möglichst viel Abwechslung zu haben und variiere die Strecke regelmäßig. Heute nahm ich nach 10 Kilometern eine Abbiegung, die ich zumindest auf dem Rad bereits kannte. In dem Bewusstsein, dass die normale Runde über 50 Kilometer benötigt hätte, lief ich einige Kilometer später eine Schleife, die mich zurück zur Abbiegung führte.

Der Blick aufs Handy verriet: Die 35 Kilometer würde ich angesammelt haben, noch bevor ich wieder zu Hause ankommen wäre. So war die Einheit nicht geplant. Die Tagesform war alles andere als großartig. Dennoch verlief die Einheit zunächst noch gut. Nach dem Überschreiten der 30er-Marke überlegte ich noch, die Strecke ein wenig zu verlängern und bis nach Hause zu laufen. Bei Kilometer 33 war noch alles in Ordnung. Bei Kilometer 34 meldete sich schließlich der Mann mit dem Hammer.

Die Beine wurden plötzlich wie Wackelpudding. Ich schliff die Füße über den Boden und einige Schritte später war ich nicht mehr in der Lage, eine Laufbewegung – oder was davon übrig war – aufrechtzuerhalten. Ich rief meine Frau das erste Mal an, ohne dass diese ans Telefon ging.

Kilometer 34 war erreicht, womit ein letzter Kilometer übriggeblieben war. Ich versuchte erneut einen Laufschritt aufzunehmen, sammelte all meine Kräfte und musste nach 300 Metern erneut aufgeben. Selbst beim Gold Coast Marathon in Australien ging es mir körperlich nicht so schlecht. Die Tatsache, zuletzt 2018 dem Mann mit dem Hammer begegnet zu sein, sorgte dennoch dafür, dass ich meinen Zustand zunächst nicht akzeptieren wollte. Ich war fest entschlossen, den letzten Kilometer laufend zu beenden. Meine Beine waren dagegen anderer Ansicht.

Die heutige Strecke wurde nicht ganz zum Rundkurs

So nah und doch so fern

Nach 3 Stunden und 25 Minuten ploppte Kilometer 35 auf meinem Display auf und ich beendete die Einheit. Nachdem die Anrufe zwei und drei erneut erfolglos waren, rief mich meine Frau endlich zurück. Ich war nur noch zwei Kilometer von zu Hause entfernt, war körperlich und geistig jedoch an einem Punkt, nur noch liegen zu wollen.

Langsam schlurfte ich ihr entgegen, während der kalte Schweiß sich bemerkbar machte. Umständlich stieg ich ins wenige Minuten später ankommende Auto und aß die ersten Kohlenhydrate. Obwohl das Thermometer deutlich einstellige Gradzahlen anzeigte, hatte ich in der Einheit gut vier Liter ausgeschwitzt, wie ich zu Hause feststellten musste. Bei nur drei Liter trinken, war dies ein Flüssigkeitsverlust von gut einem Kilogramm. Damit war ich zwar noch unter der Grenze, ab der eine Leistungseinbuße aufgrund von Flüssigkeitsverlust zu erwarten ist. Im Zusammenspiel mit den festen Waden und den leeren Glykogenspeichern war dies heute aber zu viel.

Optimistischer Blick nach vorn

Kleine Momente des Scheiterns begegnen einem auf jedem Weg, der zu einem erfolgreichen Abschluss führen soll. Während mich Begegnungen mit dem Mann mit dem Hammer in meiner ersten Marathonvorbereitung noch verzweifeln ließen, weiß ich solche Erlebnisse inzwischen gut einzuschätzen. Training kann einen immer wieder an die eigenen Grenzen treiben. Wichtig ist es dabei nur zu verstehen, was die Ursachen für die beobachtbare Wirkung sind.

In der nächsten Woche werden noch einmal 36 Kilometer gelaufen, bevor es langsam ins Tapering geht. Egal wie die nächste Nüchterneinheit verlaufen wird, bin ich guter Dinge für meinen ersten Marathon im Jahr 2021.

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Frank

3 Kommentar zu “Rendezvous mit dem Mann mit dem Hammer

  1. Wer ambitioniert trainiert wird ihn kennen den Mann mit dem Hammer. Wer ihn nicht kennt kann sich nicht vorstellen das wirklich nichts mehr geht. Übrigens das die eigene Frau nicht sofort ans Telefon geht ist völlig normal aber wehe du gehst im Dienst mal nicht sofort ans Telefon. Dann gibts aber Ärger 🤣

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