Der Nüchternlauf: Dauer und Intensität

Im einführenden Artikel zum Nüchternlauf gab ich einen allgemeinen Überblick über die Energieversorgung des Körpers. Damit sollte ein gewisses Grundverständnis bestehen, auf das ich in diesem Text aufbauen möchte. Wie bereits im ersten Artikel beschrieben, wird der Nüchternlauf ohne vorheriges Frühstück absolviert. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Körper ohne Kohlenhydrate auskommen müsste. Es gibt zwei große Speicher für Kohlenhydrate in unserem Körper: Die Leber, deren Vorräte je nach körperlicher Statur in der Literatur von 80 bis 120 Gramm für normale Menschen angegeben werden, und die Muskulatur.

Nüchternlauf heißt nicht Laufen ohne Kohlenhydrate

In der Muskulatur sind deutlich mehr Kohlenhydrate gespeichert als in der Leber, was nicht nur von der Muskelmasse sondern auch dem Trainingsstatus abhängig ist. Insbesondere Trainingsanfänger, die bereits nach wenigen Wochen körperliche Betätigung festere Muskulatur am eigenen Körper wahrnehmen, haben nicht kiloweise Muskelprotein aufgebaut. Die bestehenden Kohlenhydratspeicher, in denen Glukose in Form von Glykogen an Wasser gebunden gespeichert wird, wurden ausgebaut.

Ein völlig untrainierter Mensch würde bei gleichbleibender Muskelmasse bereits nach kurzer Zeit mehr Kohlenhydrate in der Muskulatur speichern. Wenn mit den Trainingsjahren dann noch die Muskelmasse zunimmt, vergrößern sich auch die Kohlenhydratspeicher. Doch bekanntlich keine Wirkung ohne Nebenwirkung: Ab einem gewissen Level macht Muskelmasse auch langsamer und da auf einem Marathonwettkampf die Versorgung mit Kohlenhydraten gewährleistet ist, sind sehr gute Marathonläufer bekanntlich eher schlanke Sportler.

Für den Nüchternlauf ist aber in erster Linie relevant zu wissen, dass wir körpereigene Speicher besitzen. Das besondere an den Speichern in der Muskulatur ist, dass diese sich nur bei Muskelarbeit leeren. Solange wir nach einer Trainingseinheit ausreichend Kohlenhydrate essen, was bei einer normalen Mischkost ohne Weiteres der Fall ist, sind die Kohlenhydratspeicher auch vor einem Nüchternlauf gefüllt. Ein etwas anderes Szenario stellen Low Carb Ernährung bzw. eine gezielt ketogene Ernährung dar, die jedoch einen Sonderfall darstellen und nicht im weiteren Fokus stehen sollen.

Auch im Nüchternlauf werden insbesondere während der ersten Stunde Kohlenhydrate und Fett verbrannt, wobei der Anteil auch von der Trainingsintensität abhängt. Wer beispielsweise nüchtern zu Fuß geht, wird vornehmlich Fett verbrennen, da die Belastung so gering ist. Wer dagegen einen Coopertest absolviert, wird diesen fast ausschließlich mit Hilfe seiner Kohlenhydratreserven umsetzen können. Versuchen wir also das Verhältnis der Energiegewinnung besser zu veranschaulichen, um die Intensität des Nüchternlaufs zu bestimmen.

Die Intensität des Nüchternlaufs

Es gibt verschiedene Strategien, wie man einen Lauf oder ein Rennen angehen kann. Im Marathon wird beispielsweise meist entweder ein gleichmäßiges Tempo oder ein negativer Split bevorzugt. Bei Letzterem wird die zweite Hälfte etwas schneller als die erste absolviert. Ich persönlich bevorzuge für mich dagegen die Strategie auf den ersten 5 bis 10 Kilometern einen kleinen zeitlichen Puffer herauszulaufen, der gleichzeitig die Pufferkapazität des Körpers fordert. Ich laufe, wenn man es so ausdrücken möchte, bewusst in die Laktatschwelle hinein.

Unabhängig von der Strategie wird der Körper zu Beginn jedoch immer zu einem großen Anteil Kohlenhydrate verbrennen. Die folgende Grafik stellt den Anteil von Kohlenhydraten (Glycogen) und Fettsäuren dar. Es wird deutlich, dass Körperfett erst nach etwa einer Stunde in relevantem Maße genutzt wird. In der Zeit davor werden insbesondere Fett-Tröpfchen, die sich zwischen den Muskelzellen befinden, verbrannt.

Energiegewinnung bei Intensität von 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz – aus
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Die Anteile in der Grafik beziehen sich auf eine Belastung von etwa 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz. Man wäre damit im Bereich des Grundlagenausdauertrainings. Für einen 30-jährigen Sportler entspricht dies in etwa einem Puls von ca. 150 Schlägen. Nach etwa 20 Minuten beginnt der Fettstoffwechsel an Bedeutung zuzunehmen und nach etwa einer Stunde beginnt die Verbrennung von Körperfett. Darüber hinaus setzt nach etwa einer Stunde auch die Energiegewinnung aus Protein ein.

Diese Formulierung ist etwas ungenau und führt immer wieder zu missverständlichen Aussagen, gemäß derer ein Nüchternlauf Muskelprotein verbrennen würde. Zunächst einmal finden ständig auf- und abbauende Prozesse im Körper statt. Proteinstrukturen wie Enzyme, Hormone, Bestandteile des Immunsystems, Transportproteine und auch Muskelprotein werden ständig abgebaut. Die dabei freiwerdenden Aminosäuren werden vom Organismus zu Teilen recycelt und für die jeweils notwendigen Prozesse genutzt.

Verbrennt der Nüchternlauf Muskeln?

Befinden wir uns in einem Nüchternlauf, der länger als 60 Minuten andauert, werden vor allem BCAAs zur Energiegewinnung herangezogen. Wir sprechen hier jedoch von einer Menge von etwa 5 Gramm pro Stunde! Selbst wenn dies reine Muskelmasse wäre, was sie nicht ist, wäre der Muskelverlust WÄHREND bzw. aufgrund des Nüchternlaufs praktisch nicht existent. Was dagegen mittelfristig von Bedeutung sein kann, sind Regenerationsprozesse und Defizitstunden in der Kalorienbilanz, die jedoch ein eigenständiges Thema wären.

Wenn man Geld ausgibt, um die Miete zu bezahlen, macht nicht die Mietzahlung pleite, sondern höchstens die Tatsache, dass man kein Geld verdient. Die Konsequenz daraus ist nicht, dass man aufhört Miete zu zahlen, sondern dass man Geld verdienen geht.

Die Dauer des Nüchternlaufs

Damit kommen wir zu der Frage, wie lang der Nüchternlauf sein sollte. Die Antwort hierauf lässt sich nicht losgelöst vom eigentlichen Ziel der Trainingseinheit beantworten. Dennoch will ich versuchen ein generelles Verständnis zu schaffen.

Häufig liest man, dass Nüchternläufe nicht länger als eine Stunde dauern sollten. Ich selbst habe dagegen die Faustformel, dass ein gesunder, ausdauererprobter Sportler mit etwas Training zu einem zweistündigen Nüchternlauf in der Lage sein sollte. Wer dagegen den Fettstoffwechsel mit Hilfe des Nüchternlaufs trainieren möchte, sollte noch einmal eine Stunde draufschlagen.

Das sollte zu keinem Missverständnis führen: Auch die ersten 60 bis 120 Minuten des Nüchternlaufs haben eine Reihe an Trainingseffekte. Im Zeitfenster von 120 bis 180 Minuten wird jedoch vornehmlich der Fettstoffwechsel trainiert. Damit ist nicht nur die Verbrennung von Fettsäuren in den Mitochondrien, sondern auch die Freisetzung von Fettsäuren in den Körperspeichern gemeint. Auch dieser Prozess ist von Enzymen abhängig. Das Training auf nüchternen Magen trainiert also nicht nur die Ausdauer, sondern bringt den Körper auch in einer Situation, die Enzymproduktion zu steigern.

Neben der verbesserten Enzymproduktion führen solche langen Ausdauereinheiten zu einer höheren Anzahl an Mitochondrien. Die Kraftwerke der Zellen haben eine Lebenszeit von etwa drei Wochen, so dass täglich ca. fünf Prozent erneuert werden. Nüchternläufe, bei denen der Fettstoffwechsel trainiert wird, führen dazu, dass der Körper in einen Zustand des Energiemangels gebracht wird, auf den mit der Produktion von mehr Mitochondrien reagiert wird. Dies wiederum trägt ebenso wie die Enzymaktivität zum Fettstoffwechsel und damit zur Ausdauerleistung bei.

Unterzuckerung beim Nüchternlauf

Auf der anderen Seite werden ab einer Dauer von 120 Minuten zunehmend auch die Kohlenhydratspeicher der Leber zur Energiegewinnung der Muskulatur genutzt. Die Menge ist nicht sonderlich hoch, doch im Blut sind auch nur etwa fünf Gramm Zucker gelöst. Werte darüber oder darunter führen zu Über- oder Unterzucker, so dass der Körper beständig daran interessiert ist, das Gleichgewicht zu halten.

Werden nun minimale Mengen Glukose aus dem Blut für die Ausdauerleistung genutzt, muss die Leber dies ausgleichen. Gelingt ihr dies nicht schnell genug, weil beispielsweise die Speicher zu stark geleert sind oder andere Prozesse umgesetzt werden müssen, unterzuckern wir. Der Mann mit dem Hammer begegnet uns. Wie dies verhindert werden kann, soll Thema des dritten Artikels sein.

Frank

6 Kommentar zu “Der Nüchternlauf: Dauer und Intensität

  1. Danke für den zweiten Artikel dieser Reihe.
    Vieles steht ja auch im hybridbuch.
    Freue mich auf den nächsten Teil.

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