Ambitionierte Sportler sind in jeder Sportart sicherlich in einer Hinsicht nahezu gleich. Wenn es legale und risikofreie Möglichkeiten zur Leistungssteigerung gibt, dann spitzt man nicht nur die Ohren. Man ist auch gerne bereit, den ein oder anderen Euro zu investieren, um etwas mehr Gewicht auf die Hantel zu bekommen oder Zeit von der Uhr zu nehmen. Nahrungsergänzungsmittel wie Beta-Alanin können in diesem Zusammenhang einen unterschiedlich großen Beitrag liefern und haben auch beim Laufen ihre Berechtigung. Wundermittel sind sie in keinem Fall. Doch gerade beim Laufen sprechen wir über eine Sportart, in der sich über ein paar Gramm Gewicht bei den Laufschuhen Gedanken gemacht wird.
Was ist Beta-Alanin?
Bei Beta-Alanin handelt es sich um eine Beta-Aminosäure, die gemeinsam mit Histidin das Di-Peptid Carnosin bildet. Carnosin ist in der Muskulatur eingelagert und dient der Stabilisierung des ph-Wertes in der Muskulatur. Die Beta-Alanin-Zufuhr soll die Menge an Carnosin erhöhen, was zur offensichtlichen Fragen führt, warum man nicht gleich Carnosin supplementiert wird?
Wer sich ein wenig mit dem Thema Ernährung auseinandergesetzt hat, wird die Antwort bereits kennen: Im Rahmen der Verdauung werden Protein- und Peptidstrukturen fast vollständig in Aminosäuren zerlegt. Die direkte Supplementierung von Carnosin würde somit ebenfalls zu einer eingeschränkteren Aufnahme führen. Da auf der anderen Seite Histidin bei einer eiweißreichen Ernährung in ausreichenden Mengen zugeführt wird, benötigt man für eine gezielte Carnosin-Vermehrung in erster Linie Beta-Alanin.
Was hat es mit dem ph-Wert der Muskulatur auf sich?
Der ph-Wert kann vom neutralen Wert 7 in einen sauren oder basischen Bereich verschoben sein. Je nach Bereich des Körpers liegen sehr unterschiedliche ph-Werte vor. Im Blut wird dieser beispielsweise sehr stark reguliert und bewegt sich in einem Bereich zwischen 7,35 und 7,45, wogegen der Magensaft mit Werten von 2,0 bis 3,0 angegeben wird. Diese beiden Beispiele sollen verdeutlichen, dass es nicht DEN EINEN ph-Wert in unserem Körper gibt. Gleichzeitig ist der Körper um Ausgleich bemüht. Kommt es also zu Abweichungen des normalen ph-Wertes, so treten Regulierungsmaßnahmen ein. Behalten wir dies im Hinterkopf.
Wenn wir unsere Muskulatur anspannen, so muss diese neues ATP produzieren. Von kurzfristigen Reserven aus Creatinphosphat abgesehen, sind Kohlenhydrate und Fette die beiden primären Energiequellen. Diese werden entweder unter Zuhilfenahme von Sauerstoff oder ohne selbigen genutzt. Werden Kohlenhydrate auf anaeroben Weg (also Sauerstoffmangel) vebraucht, entstehen vermehrt Wasserstoffionen, die den Muskel übersäuern. Diese bilden gemeinsam mit Laktat die Milchsäure (Laktat ist ein Salz der Milchsäure) und werden aus den Muskeln abgegeben.
Die Abbauprodukte gelangen ins Blut, wo Milchsäure sofort wieder in Laktat und Wasserstoffionen zerfällt und den ph-Wert verschiebt. Es steht allerdings, wie bereits dargestellt, nur ein enger Korridor zur Verfügung steht. Wir können somit nicht unendlich Wasserstoffionen auf diesem Weg ans Blut abgeben. Der Muskel wird somit über kurz oder lang übersäuern und die anaerobe Energiegewinnung wird gebremst.
Energiebereitstellung während des Laufens
Im Marathon bewegen wir uns in der Regel in einem Bereich, in dem die Energiebereitstellung aerob, also mit ausreichend Sauerstoff erfolgt. Darüber hinaus werden je nach Statur und Geschwindigkeit immens viele Kalorien verbraucht. Ein 75 Kilogramm schwerer Mann, der den Marathon in 3 h 30 min läuft, benötigt in etwa 3.000 kcal. Das entspricht bei 4,1 kcal je Gramm Kohlenhydrate über 800 Gramm.
Diese Mengen sind selbst mit vollständig geladenen Kohlenhydratspeichern nicht in der Muskulatur vorhanden und man müsste somit eine ganze Menge Gels mitschleppen, um dem Bedarf gerecht zu werden. Optimistisch können wir eher von 350 bis 500 Gramm Glykogenspeichern in der Muskulatur ausgehen. Diese genaue Menge hängt von der körperlichen Zusammensetzung ab. Wenn wir von einem zusätzlichen Kohlenhydratbedarf von 300 Gramm ausgehen, entspräche dies 20 zusätzlichen Gels, die heruntergeschlungen werden müssten. Mein Mund zieht sich allein bei den Gedanken an den pappsüßen Geschmack zusammen. Darüber hinaus würden die Kohlenhydrate gar nicht schnell genug verdaut werden.
In der Praxis müssen wir beachten, dass auch in der Leber Energie zur Verfügung steht. Viel entscheidender ist jedoch, dass nicht nur Kohlenhydrate sondern auch Fettsäuren verbraucht werden. Nach etwa 60 Minuten durchgehender Belastung nutzt der Körper des Weiteren auch zunehmend Aminosäuren. Bei etwa 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz gestaltet sich die Energiegewinnung in etwa wie folgt, wie ich in meinem Buch Ernährung für (Kraft-)Sportler* bereits dargestellt hatte:

Wir sehen, dass insbesondere in den ersten 20 Minuten der Großteil der Energie über die Kohlenhydratspeicher der Muskulatur gewährleistet wird. Ab diesem Zeitpunkt nimmt Fett eine zunehmende Bedeutung ein, wobei Körperfett erst nach etwa 60 Minuten zunehmend von Relevanz ist. Kehren wir damit zu unserer Ausgangsfrage zurück.
Verbessert Beta-Alanin die Leistung beim Laufen?
Auf den ersten Blick erscheint Beta-Alanin für das Laufen eines Marathons nicht sonderlich sinnvoll. In jedem Fall darf man nicht mit überraschenden Verbesserungen rechnen. Dies gilt jedoch auch für leichtere Laufschuhe oder eine gewichtsärmere Regenjacke und dennoch kaufen wir uns solch ein Equipment. Sei es für den Kopf, sei es für den Lifestyle oder sei es für die entscheidenden Sekunden bei der Jagd nach der persönlichen Bestzeit. Und hier kann Beta-Alanin potentiell zum Zünglein an der Waage beim Laufen werden.
Zum einen ist eine verbesserte Startphase in den ersten 20 bis 45 Minuten denkbar, wenn man seine Strategie so gestaltet, dass hier bewusst ein paar Sekunden rausgelaufen werden. Mir ist bewusst, dass dies in der Regel anders empfohlen wird. Ich selbst halte dies aber durchaus für eine umsetzbare Herangehensweise, die man jedoch mit Auge genutzt werden muss. Für Belastungen über diese Länge gibt es durchaus positive Studienergebnisse.
Zum anderen wäre etwas mehr Spritzigkeit an Anstiegen denkbar. Selbst auf flachen Kursen gibt es immer wieder den ein oder anderen Höhenmeter zu bewältigen. Wer die Pace auf diesen Abschnitten halten will, muss mehr Energie aufbringen. Wer nun etwas „Carnosin-Puffer“ in Reserve hat, sollte in der Lage sein, über den anaeroben Energiestoffwechsel kurzzeitig mehr Leistung zu erbringen. Ich spreche hier nicht von Bergsprints bei Kilometer 36. Aber eben doch ein paar Sekunden, die bei der Pace nicht dem Anstieg geopfert werden.
Für diese Überlegung spricht ebenfalls der Leistungsabfall, den (austrainierte) Marathonläufer in etwa ab der vierten Lebensdekade erfahren. Ab diesem Alter sinken die Carnosinspeicher enorm ab, wobei auch jüngere Sportler mit Hilfe von Beta-Alanin die Speicher fürs Laufen weiter füllen können.

Was sollten Läufer bei der Beta-Alanin-Zufuhr beachten?
Generell benötigt der Körper etwa vier bis acht Wochen, um die Carnosinspeicher zu füllen. Ebenso lange würde es andauern, bis das Ursprungsniveau nach Beendigung der Supplementierung wieder erreicht wurde. Die tägliche Zufuhr von Beta- Alanin sollte bei drei bis fünf Gramm liegen, wobei es nicht empfehlenswert ist, diese Dosis auf einmal zu nehmen.
Bei der Zufuhr von Beta-Alanin entsteht Kribbeln auf der Haut, Jucken oder sogar Rötungen, was jedoch nicht mit einer allergischen Reaktion im eigentlichen Sinne verwechselt werden sollte. Dennoch ist dieser Effekt nicht wirklich gewünscht, so dass dieser mit Hilfe von drei bis vier Einzeldosierungen über den Tag leicht verhindert werden kann.
Beta-Alanin und Taurin
Eine gleichzeitige Taurin-Supplementierung, die teilweise empfohlen wird, ist nach jetzigem Kenntnisstand nicht zwangsläufig notwendig. Sollte man sich jedoch dafür entscheiden oder Taurin im Rahmen von Läufen nutzen, wäre eine zeitversetzte Supplementierung vermutlich am sinnvollsten, da Beta-Alanin und Taurin denselben Transportweg im Dünndarm nutzen. Man kann sich dies wie zwei dicke Kinder vorstellen, die man eine Rutsche hinunterschicken möchte. Da käme auch niemand auf die Idee, beide gleichzeitig nebeneinander loszuschicken.
Ansonsten kann Beta-Alanin als sicheres Supplement verstanden werden, dass erstaunlicherweise weniger Aufmerksamkeit erhält, als es vermutlich verdient hätte. Der potentiell leistungssteigernde Faktor ist nur ein Argument für die Nutzung. Insbesondere Athleten, die sich dem 40. Lebensjahr nähern oder dieses bereits hinter sich gelassen hätten, sollte sich mit Beta-Alanin näher auseinandersetzen und über eine Supplementierung nachdenken. Aber auch jüngere Läufer könnten, wie dargestellt, von Beta-Alanin profitieren.
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