Der Chicago Marathon ist nur etwas für Major-Sammler

Der Chicago Marathon 2022 liegt hinter mir und damit mein drittes von sechs Major-Rennen. Während ich mich im Vorfeld auf das Rennen freute, stellte sich am Wettkampftag selbst schnell Ernüchterung ein. Die Überschrift macht es bereits deutlich: Wer nicht vorhat, im Laufe der Jahre alle Major-Rennen in seiner Läufer-Vita aufzunehmen, kann sich den Chicago Marathon sparen. Es gibt in jeder Hinsicht bessere Alternativen.

„Grab and Go“ statt Buffett

Wer große Laufevents kennt, geht mit einer gewissen Erwartung in solche Rennen. Wenn sich tausende Menschen mit dem gleichen sportlichen Ziel an einem Ort versammeln, ist dies immer etwas Besonderes. So dachte ich zumindest bisher. In Chicago sollte ich jedoch leider eines Besseren belehrt werden.

„Grab and Go“ Frühstück im Hotelzimmer

Das Frühstück im Hotel war ein „Grab and Go“, wie es bezeichnet wurde. Statt eines Buffets durfte man sich so viele Bagels holen, wie der Geldbeutel es hergab, und zwischen weiterem abgepackten Essen wählen. Offenbar war nicht nur ich überrascht. Hätte ich dies am Abend zuvor bereits richtig verstanden, hätte ich mir wohl aus einem der örtlichen Supermärkte etwas zu Essen geholt.

Ernüchternde Stimmung am Wettkampftag

Von der Stadt gelangte man direkt zum Grand Park, in dem der Lauf starten sollte. Auf dem Weg dorthin pilgerten bereits die ersten Läufer die Straßen entlang. Kurz vor den Zugangsgates bildete sich eine erkennbare Menschentraube.

Dennoch wirkte all dies deutlich emotionsloser, als ich es von anderen Rennen gewohnt war, die ebenfalls mit hohen vier- oder sogar fünfstelligen Teilnehmerzahlen zu punkten wussten. Ich vermag noch nicht einmal zu sagen, woran genau dies gelegen haben mag. Offenbar trübte meine Wahrnehmung mich jedoch nicht. Wie ich erst beim Schreiben dieses Beitrages herausfand, scheinen auch andere Menschen die Atmosphäre nicht als sonderlichen Pluspunkt des Chicago Marathons wahrgenommen zu haben.

Zwar gab es Musik über die Lautsprecher des Veranstaltungsgeländes und die obligatorische Nationalhymne wurde live ins Mikrofon geschmettert. Doch im Vergleich zu New York oder auch Philadelphia wirkte all das wie eine sterile Pflichtaufgabe.

Als Läufer ließ man all dies im abgesperrten Starterblock über sich ergehen. Ich war in den letzten Abschnitt der ersten Welle gerutscht. Dies bedeutet jedoch auch, dass ich gemeinsam mit den anderen Teilnehmern im Block E gut 20 Minuten warten musste, bis auch wir nach dem Startschuss auf die Strecke gingen. Ähnlich wie in anderen Rennen dieser Größenordnung schlängelte man sich um eine Kurve herum, bevor man den eigentlichen Startbereich zu sehen bekam. Dieser war jedoch ebenso unspektakulär wie das restlichen Marathon-Gelände, so dass man fast schon beiläufig die Startlinie überschritt.

Der Chicago River ist fraglos ein optisches Highlight der Windy City!

Unscheinbare Strecke in einer beliebigen amerikanischen Großstadt

Von hier aus ging es auf die 26,1 Meilen, wie die US-Amerikaner die Marathonstrecke abmessen. Die Blockeinteilung verlief bis auf einige Ausnahmen offenbar gut. Der erste Kilometer bot eine breite Streckenführung, so dass das restliche Teilnehmerfeld nicht zum Hindernis wurde, wie man es oft bei anderen Läufen erlebt.

Vorbei an zahlreichen Zuschauern, die in Anbetracht der großen Teilnehmerzahl insbesondere auf den ersten Kilometern zu einem wesentlichen Teil vermutlich aus Angehörigen bestanden haben, ging es über eine von 38 Brücken, die den Chicago River überspannten. Der Fluss und die Art der Brücken ist fraglos eine der schöneren Seiten von Chicago gewesen.

Von dort aus führte die Strecke durch die Hochhäuserschluchten. Schon bald war erschien das erste Schild, das darauf hinwies, dass die erste Meile geschafft sei. Die johlende Menge am Straßenrand zog sich im Großen und Ganzen über die gesamte Strecke. Hier muss der Chicago Marathon sich keine Kritik gefallen lassen, wobei ähnliche Zuschauermassen auch bei anderen großen Rennen die Läufer nach vorne treiben.

Ob man selbst wiederum gerade in Chicago oder einer beliebigen anderen amerikanischen Großstadt lief, hätte man zwischenzeitlich nur schwer beantworten können. Insgesamt präsentierte sich die Strecke fast schon austauschbar. Dies galt in gewisser Weise auch für New York, doch die Atmosphäre am Big Apple war eine andere, um nicht zu sagen bessere. Die Rennen in San Francisco und Philadelphia spielten sowieso in einer ganz anderen Liga. Im direkten Vergleich wirkte der Chicago Marathon daher wenig reizvoll.

Kein Streckenrekord in diesem Jahr

Ein Argument, das für den Chicago Marathon angeführt wird, ist die schnelle Strecke. Bei den Frauen verpasste Ruth Chepngetich mit nur 14 Sekunden den Weltrekord der Frauen und auch der Sieger der Männer benötigte nur 2h 04:24min.

Doch schnelle Strecken gibt es auch in Europa oder Deutschland. Die Tatsache, dass eine Vielzahl an Faktoren auf den Rennverlauf Einfluss nehmen und dass bei solche prestigeträchtigen Rennen Eliteläufer mit entsprechenden (Start-)Prämien gelockt werden, erzeugt in diesem Zusammenhang oftmals ein falsches Bild. Wer nur ein schnelles Rennen laufen möchte, muss nicht extra nach Chicago reisen.

Für mich war dies zweifelsfrei auch nicht der Grund nach Illinois zu reisen und dennoch sollte es am Ende des Tages mein schnellstes Rennen seit dem Bandscheibenvorfall werden. Dennoch war es keinesfalls so, dass ich mich voll ins Rennen hängen konnte.

Seit meiner Verletzung habe ich das Problem, dass linke Wade ab und an eine Art Schnappbewegung vollzieht, die sich unangenehm anfühlt und den damit verbundenen Auftritt unsicher wirken lässt. Ich bin bisher noch nicht dahintergekommen, was die Ursache für das Problem ist, zumal es Trainingseinheiten gibt, in denen ich gar nichts merke. Wenn das Gefühl jedoch auftritt, dann bei erhöhtem Lauftempo, so dass ich nach der ersten Wahrnehmung noch vor dem zehnten Kilometer bewusster und nicht mit voller Intensität lief.

Getrieben von den Zuschauern lief das Rennen auf der Strecke ohne echte Highlights phasenweise fast schon an mir vorbei, was nicht das Schlechteste sein muss. Ohne Gehpause jedoch mit einer kleinen Pinkel-Unterbrechung sollten am Ende 3h 46:10 min für mich auf der Uhr stehen. Ein durchschnittliches Ergebnis bei einem eher durchschnittlichen Rennen, was keinesfalls so vernichtend negativ gemeint ist, wie man diese Formulierung verstehen könnte.

Zwischenzeiten Chicago Marathon 2022

Losglück, um 243 Dollar bezahlen zu dürfen

Dieses Fazit mag sich auf den ersten Blick sehr streng lesen und muss sicherlich im Kontext gesehen werden. Der Chicago Marathon 2022 war bereits mein 37. Rennen. Ich lief diverse Stadt- und Landmarathons, war in Deutschland, Europa und darüber hinaus unterwegs. Insbesondere die drei anderen USA-Marathons sind eine gewisse Marke, an der der Chicago Marathon sich messen lassen muss(te).

Das Rennen war keinesfalls schlecht und insbesondere die gesamte Organisation im Vorfeld und am Renntag selbst reibungslos und vorbildhaft! Dennoch muss ich sagen, dass man für einen Startbeitrag von 243 Dollar und entsprechenden Anreisekosten in die USA auch zwei, drei sehr gute Rennen in Deutschland oder Europa mitnehmen kann, die dann jedoch deutlich schönere Erinnerungen liefern werden.

Was mir bleibt, ist in jedem Fall eine schöne Medaille, die mich immer an meinen Chicago Marathon erinnern wird. Die Stadt werde ich aber voraussichtlich kein zweites Mal in meinem Leben besuchen. Dafür gibt es viel zu viele andere spannende Rennen, die ich gerne noch einmal laufen würde.

Medaille Chicago Marathon 2022

Frank

2 Kommentar zu “Der Chicago Marathon ist nur etwas für Major-Sammler

  1. Hallo Frank,
    ich habe Deine Seite gerade erst entdeckt und ich finde den Bericht über Chicago auch schön geschrieben. Dem Inhalten möchte ich auch nicht widersprechen, allerdings habe ich den Lauf und die Stadt ganz anders empfunden. Ich bin auch nicht so erfahren, habe auch erst 5 Marathonläufe und einige Halbe absolviert (Chicago, Berlin, NY, Köln, Staten Island, London Royal Park, St. John, …). Als absoluter NY Fan bin ich im letzten Jahr den 50. NY Marathon gelaufen und kenne die Stadt recht gut. Wie überall gibt es sowohl sehr schöne und saubere Ecken, als auch weniger schöne und weniger sauberere Ecken. Chicago City habe ich als extrem sauber, beeindruckend und sicher empfunden. Ob sich alles für den Marathon herausgeputzt hat, kann ich nicht beurteilen. Doch nun zum Lauf. Ich fand die Atmosphäre von Beginn an klasse. Ja, es gibt sicher Läufe, wo Du im Corral oder vor deinem Startblock mehr geboten bekommst und das Frühstück am Marathon-Tag hängt sicher auch vom Hotel ab. Aber mir kommt es darauf weniger an. Es gab auf der Strecke ausreichende Versorgungsstationen und genügend Möglichkeiten, das Aufgenommene auch wieder los zu werden. Sicher dem tollen Wetter geschuldet, aber sehr positiv waren die Zuschauerquoten. Aus meiner Sicht kann Chicago da NY und Berlin (mehr Majors habe ich nicht) das Wasser reichen. Wer die Großstadtläufe mag und sich dafür auch gerne in den Flieger setzt, für den ist Chicago aus meiner Sicht eine gute Wahl. Ich denke, es empfindet jeder anders. Für mich und meine Begleitung war es eine tolle Reise und wir überlegen, wie wir Chicago auch ohne Marathon auf unseren nächsten Reisen verbinden können. Aber nochmal, schöner Bericht und besten Dank dafür, ich werde weiter auf Deiner Seite stöbern. Viele Grüße

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