Ich war nie ein großartiger Läufer, wie ich bereits mehrfach betonte, und auch für mich war der Marathon bis vor einigen Jahren eine schier unüberwindbare Hürde, die ich irgendwann im Leben meistern wollte. Das daraus so etwas wie ein Laufprojekt werden könnte, hätte ich mit Sicherheit auch im Jahr 2016 nicht gedacht, als ich mich zum zweiten Mal entschloss, die 42,165 km in Hannover zu bewältigen.
Zwei Jahre zuvor hatte ich mein erstes Mal und nachdem ich danach so ausgebrannt war, dass ich lange die Laufschuhe an den Nagel gehangen hatte, packte mich Ende 2015 erneut die Lust, die Herausforderung anzunehmen. Ich suchte ein sportliches Ziel, da ich mich zugegebenermaßen ein wenig ziellos durch mein Training bewegte.
Marathontraining-Minimalismus
Dass ich körperlich dazu in der Lage war, einen Marathon zu laufen, hatte ich mir 2014 bereits selbst bewiesen. Gleichzeitig bin ich aber auch immer ein Freund davon, Aufgaben so effizient wie möglich zu bewältigen. Es geht hierbei nicht darum, getreu dem Pareto-Prinzip auf die letzten 20 Prozent zu verzichten, sondern vielmehr zum gleichen Ergebnis mit weniger eingesetzten Ressourcen zu kommen. Und wie wir alle sicherlich aus unserem sportlichem, beruflichem und privaten Leben wissen, benötigt man die ersten Male bei neuen Aufgaben und Herausforderungen mehr Zeit, als wenn sich eine gewisse Erfahrung und vielleicht sogar Routine entwickeln konnte.
Von Routine war ich 2016 noch weit entfernt. Natürlich gehörte Laufen inzwischen seit einigen Jahren zu meinem sportlichen Alltag, aber die Dauer betrug dabei praktisch nie mehr als zwei Stunden. Also in etwa der magischen Grenze, ab der der Fettstoffwechsel erst so richtig für die Energiebereitstellung für das Training verantwortlich wird. Die bereits angesprochene Herausforderung war also nicht das Schaffen der Distanz, sondern der Weg dorthin.
Während ich meine erste Marathonvorbereitung noch mit drei wöchentlichen Laufeinheiten absolvierte, entwickelte ich für mich ein Modell aus zwei Laufeinheiten, das ich im Übrigen auch inzwischen beigehalten habe. Dieses besteht aus einem langen Nüchternlauf, der für das Training des Fettstoffwechsels dient, sowie einem 10-km-Lauf, der abhängig von der Tagesform möglichst schnell absolviert wird. Dauer und Intensität des zweiten Laufs haben Aspekte wie mentales Training, Tempohärte und Optimierung der Glykogenspeicher im Fokus.
Die Motivation hierfür war auch pragmatischer Natur: Ende 2015 wurde ich zum Hausbesitzer und verbrachte praktisch meine gesamte Freizeit gemeinsam mit meiner Frau in den neuen vier Wänden, um das Haus zu sanieren. Der 10-km-Lauf wurde entsprechend unter der Woche eingestreut, wenn es die Zeit erlaubte, und der Nüchternlauf morgens am Wochenende absolviert, solange meine Frau noch schlief.
Ich sprach bereits davon, dass der Nüchternlauf zur Verbesserung des Fettstoffwechsels diente und ich seit dem letzten Marathon keine Läufe in diesem Bereich mehr absolviert hatte. Entsprechend kam es auch ein paar Mal vor, dass ich dem Mann mit dem Hammer begegnete, der von einer auf die andere Sekunde dafür sorgte, dass ich mich nur noch wie ein Zombie vorwärtsbewegen konnte und mit dem Auto abgeholt werden musste. In diesem Zusammenhang wird gern von der Muskulatur gesprochen. Das Problem wird aber vielmehr in der Leber liegen, die nicht in der Lage ist, weiterhin ausreichend Kohlenhydrate ans Blut abzugeben bzw. nachzuproduzieren. Die Muskulatur ist nach zwei Stunden noch nicht gänzlich geleert, gibt nur bekanntlich dummerweise nichts ans Blut ab.
Hannover 2016: Der Marathon und das Koffein
Der Marathon selbst fand am 10.04.2016 statt. Ehrlich gesagt kann ich mich 2,5 Jahre später kaum noch an den Wettkampf selbst erinnern und hätte meine Handy-App den Lauf nicht noch gespeichert, könnte ich noch weniger zum Rennen sagen. Im Gegensatz zum ersten Marathon lief ich diesmal allein. Der Kollege, der auch beim ersten Mal dabei war, hatte sich während der Vorbereitung verletzt, so dass ich das Gefühl, auf der Strecke allein unterwegs zu sein, kennenlernte. Gemäß der Aufzeichnung lief ich ein diszipliniertes Rennen mit relativ konstanter Einhaltung der Pace.
Ich begann also nicht zu schnell und kann mich erinnern, großen Respekt gehabt zu haben, da ich diesmal nur zwei Laufeinheiten pro Woche nutzte und keine Vorstellung hatte, ob die Vorbereitung ausreichend gewesen wäre. Laufpläne für die Marathondistanz unter 4 Stunden sind schließlich deutlich umfangreicher und erinnern mich noch heute, wenn ich mir diese anschaue, an Raketenwissenschaft, anstatt einfach grundsolide Arbeit zu leisten. Aber das kenne ich ja bereits aus dem Bodybuilding- und Kraftsportbereich, wenn der Fantasie der Trainingsplanersteller keine Grenzen gesetzt sind, obwohl der Anwender gerade einmal sein 1,5-faches Körpergewicht Beugen oder 2-faches Körpergewicht heben wollen würde.
Eine Lektion, an die ich mich sehr bewusst erinnern kann, ist das Trinken. Beim ersten Marathon ließ ich eine Verpflegungsstation aus und bekam an der darauffolgenden nichts mehr. Seitdem trinke ich bewusst an jeder Station auf Läufen, wobei die Versorgung in New York tatsächlich so gut war, dass ich dort die ein oder andere Verpflegung ausließ. Ich wußte, dass um die nächste Kurve bereits eine Weitere warten würde. Entsprechend hatte ich beim zweiten Marathon auch keinen Einbruch, sondern lief des gesamten Lauf durch.
Im Anschluss fühlte ich mich fast schon frisch. Soweit man dies nach einem Marathon von sich behaupten kann. Rückblickend war ich vermutlich eher mitten auf meinem Koffein-Trip: Wie bereits auf meinen Powerliftingwettkämpfen nahm ich vor dem Start Koffein zu mir, um einen gewissen pushenden Effekt zu nutzen. Dazu muss man sagen, dass ich keinen Kaffee trinke und auch bei Cola regelmäßig zur koffeinfreien Variante greife. Ich kaufte mir vor dem Marathon eine Packung mit 500 Kapseln zu je 200 mg Koffein und nahm die erste vor dem Start. So weit, so gut.
Dummerweise hielt ich es damals für eine kluge Idee, dem viel hilft viel Mantra zu folgen und der ersten Koffeintablette folgten während des Laufens weitere, so dass ich – genau kann ich es nicht mehr sagen – fünf oder sechs Tabletten bis zum Ende des Laufes zu mir genommen hatte, insgesamt also 1,2 Gramm Koffein. Das entspricht 12 Litern Coca Cola oder 24 Tassen eines durchschnittlichen Espressos. Ich bin, wie schon gesagt, keine Kaffeetrinker, aber 24 Tassen Espresso klingen für mich nach keiner klugen Idee. Und das war es auch nicht.

Die Halbwertzeit von Koffein entspricht 2,5 bis 5 Stunden. Hierzu findet man unterschiedliche Angaben. Nehmen wir mit 4 Stunden etwa die Mitte, da ich in der Vergangenheit auch immer sehr gut auf Koffein reagierte. Der Lauf war in etwa 14 Uhr beendet. Nehmen wir der Vereinfachung wegen an, dass das zwischenzeitlich abgebaute Koffein durch Cola, die ich an den Versorgungsstationen auch trank, aufgefrischt wurde und letztendlich noch 1000 mg Koffein in meinem Blutplasma herumschwammen. Dann waren es um 18 Uhr immer noch 500 mg Koffein. Schon einmal 10 Espressos vor dem Einschlafen getrunken? Ich kann sagen, dass das keine gute Idee ist.
Nahtoderlebnis Koffein
Nachdem sich Euphorie und Anspannung des erfolgreich absolvierten Marathons gelegt hatten und eigentlich Ruhe in meinen Körper einkehren sollte, geschah genau dies nicht. Ich lag im Bett und hatte das Gefühl, ein Elefant würde auf meinem Brustkorb sitzen. Ich war absolut übermüdet, mental völlig erschöpft, musste aber gleichzeitig so bewusst wie noch nie auf meine Atmung achten, um nicht in Panik zu geraten.
Wer sich jetzt fragt, warum ich nicht ins Krankenhaus gefahren war: Ich hatte mir, da ich ja auch nicht schlafen konnte, in dieser Nacht erstmals selbst die Frage gestellt, wie lange Koffein überhaupt benötigt, um abgebaut zu werden und erst jetzt durchgerechnet, wie viele Tabletten ich überhaupt zu mir genommen hatte. Ich war mir also im Klaren, dass ich keine Folgereaktion des Marathons durchlebte, sondern schlichtweg die Konsequenzen für meinen unüberlegten Koffein-Konsum ertrug.
Das alles verlief bis etwa 4 Uhr morgens, bis ich endlich nach Stunden des Wachliegens einschlief und mehr schlecht als recht ein Auge zu bekam. Am nächsten Morgen, der viel zu schnell kam, fühlte ich mich nicht nur wie eine wandelnde Leiche, sondern war auch um eine unfreiwillige Lektion klüger. So einen Koffein-Trip wollte ich nie wieder durchleben und habe seitdem nie wieder mehr als eine Koffein-Tablette vor einem Wettkampf genommen. Vor den Marathons in diesem Jahr verzichtete ich sogar gänzlich darauf und achtete auch bei meinen Gels darauf, ob diese Koffein enthalten. Einen Marathon läuft man auch ohne Probleme ohne Koffein. Viel wichtiger aber ist, dass das Einschlafen am Ende des Tages ohne auch deutlich besser funktioniert.
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