Der Amsterdam Marathon schien viel zu versprechen. Im Rahmen meines ersten Beitrages, wies ich bereits auf das Platin Label, eine schnelle Strecke, ein großes Teilnehmerfeld und eine schöne Stadt hin. Am Ende sollte sich herausstellen, dass der Amsterdam Marathon zwar perfekte Bedingungen fürs Laufen bot, aber alles andere als ein touristisches Erlebnis war. Dennoch sollte es auch für mich ein schnelles Rennen werden. Ich blicke also mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf den Lauf in der niederländischen Hauptstadt zurück.
Baby Bel auf der niederländischen Käseplatte
Nachdem ich am Vorabend noch die letzten Kalorien mit Sushi und Apfelkuchen reinholte, legte ich mich nach einem langen Tag ins Bett. Wie so oft auf meinen Läufen wachte ich kurz vor meinem Wecker auf. Ich führte eine abgespeckte Morgen-Mobility-Routine durch, duschte und kam pünktlich zu 7 Uhr zum Frühstück. Da der Lauf erst für 9 Uhr angesetzt wurde und der Weg dorthin in einer halben Stunde zu bewältigen war, gab es keinen Grund für Stress.
Das von außen durchaus in die Jahre gekommene Hotel bot das übliche europäische Frühstück an. Holländische Käsespezialitäten suchte man vergebens und fand stattdessen vielmehr ein paar Baby Bels neben den Käsescheiben. Ich konzentrierte mich daher auf meine übliche Auswahl, von der ich weiß, dass ich diese vor einem Lauf gut vertrage. Nur Wasser kam dieses Mal statt Milch in mein Glas.

Die Entscheidung dazu traf ich nicht nur selbst, sondern führte auch die Umsetzung eigenhändig durch. Dies wiederum versuchte mir der zuvorkommenden Frühstücksservice zweimal abzunehmen, was mir zugegeben unangenehm war, so dass meine dankende Ablehnung für Verwirrung auf der anderen Seite sorgte. Mir ist bewusst, dass das Hotel dies als Teil seines Services betrachtete, aber bis heute widerstrebt es meinem Habitus, mich (unnötig bzw. über ein gewisses Maß hinaus) bedienen zu lassen.
Auf dem Olympiaweg zum Amsterdam Marathon
Schnell ging es im Anschluss noch einmal aufs Zimmer, um die Marathonbekleidung anzuziehen. Wie schon zuletzt bei den anderen Rennen hatte ich zu viele Oberteile mit, was in gewisser Weise verdeutlicht, dass die Routine nach den letzten Coronamonaten noch nicht ganz wieder angekommen ist. Letztendlich hätte ich sogar ohne T-Shirt anreisen können, da es am Vortag ergänzend zur Startnummer ein Funktionsshirt des Amsterdam Marathons gab.
Mein Zimmer lag in der siebten Etage und der Aufzug machte in fast jeder darunterliegenden Halt, um weitere Läufer einzusammeln. Während ich mir noch ein Langarmshirt über die Laufkleidung angezogen hatte, waren andere mutiger und traten den Weg zum Olympiastadion bereits kurzärmelig an. Mit knapp über 11 Grad war eine kurzärmlige Bekleidung fürs Laufen perfekt. Für den Weg zum Olympiastadion, wo der Start erfolgen sollte, jedoch zugegeben mutig.

Auf dem Olympiaweg ging es durch das menschenleere Amsterdam, was im Vergleich zur Innenstadt am Vortag ein fast schon bizarrer Anblick war. Nach und nach gesellten sich jedoch weiter Teilnehmer zu uns. Erste Ordner sperrten Straßen rund um das Olympiastadion ab.
Vor Ort war dagegen bereits deutlich mehr Trubel als noch in den Straßen Amsterdams. Dieses Jahr sollten es keine 10.000 Teilnehmer werden, was vermutlich auch am parallel stattfindenden Paris Marathon 2021 gelegen haben mag. Dennoch war der Platz rund um das Stadion gut gefüllt, ohne überfüllt zu sein. Letzteres traf zumindest für die Kleidungsabgabe zu, die unproblematisch möglich war. Die Wartezeiten an den Toiletten waren dagegen trotz Platin Label augenscheinlich recht lang und ich war froh, als Mann die Pissoirs nutzen zu können.

Neuer Rekord beim Amsterdam Marathon
Im Olympiastadion hatten bereits die ersten Menschen aufn den Rängen Platz genommen und konnten die Läufer beobachten, die sich in ihre Startblöcke einreihten. Der Ablauf war schnell und unkompliziert, was auch am Hygienekonzept des Marathons lag. Oder besser gesagt der Tatsache, dass es keines gab. Während in Deutschland noch mit Abstand und Masken an den Start gegangen wird, und beim Münster Marathon sogar Impf- oder Testnachweis gefordert waren, gab es nichts von all dem beim Amsterdam Marathon.
Gut 6600 Männer und Frauen aus aller Welt traten an, um den Amsterdam Marathon 2021 zu laufen, als ob es nie Corona gegeben hätte. Man mag sicherlich über Sinn und Unsinn bestimmter Maßnahmen streiten. Ich bin selbst der Meinung, dass nach einem umfangreichen Impfangebot wieder Normalität angestrebt werden sollte. Dass ich allerdings nur deshalb in Amsterdam an den Start ging, weil der Dresden Marathon wegen Corona und den Hygienemaßnahmen für dasselbe Wochenende abgesagt wurde, wirkte fast schon grotesk.





Wie dem auch sei. Pünktlich um 9 Uhr wurden die Eliteläufer auf die Bahn geschickt, die die hervorragenden Bedingungen zu nutzen wissen sollten. Tamirat Tola aus Äthiopien sollte das Rennen in 2 h 03:38 min gewinnen. Damit stellte er einen neuen Rekord für den Amsterdam Marathon auf. Gleiches gilt für die Kenianerin Angela Tanui, die ihr Rennen in 2 h 17:57 min beendete. Der Amsterdam Marathon wurde damit seinem Ruf als einer der schnellsten Strecken der Welt gerecht. Stand Oktober 2021 warten damit nur noch Chicago, London, Berlin, Dubai und Bosten mit schnellere Zielzeiten über die vollen 42,195 km auf. In Paris lief der Kenianer Elisha Rotich am gleichen Tag nach 2 h 04:21 min ins Ziel, was auch für die französische Hauptstadt ein neuer Rekord war.
Kaum Windmühlen in Amsterdam
So schnell die Strecke war, so austauschbar wirkte sie auch. Während man die ersten vier, fünf Kilometer noch durch ein erkennbares Amsterdam geschickt wurde, ging es die nächsten Kilometer in ein Viertel mit Hochhäusern, die auf den ersten Blick zu beindrucken wussten, jedoch nichts vom Charme der Amsterdamer Innenstadt hatten. Wäre dies nicht bereits genug gewesen, erfolgte daraufhin die Verbannung in die Provinz.



Ich selbst war schnell unterwegs, ohne dass ich es so wahrgenommen hätte. Nach 10 Kilometern hatte ich das Gefühl, dass dies heute alles andere, als mein Tag werden würde. Ich dachte bereits darüber nach, inwiefern die Vorbelastung vom Rennsteiglauf, den ich trotz der Höhenmeter in einer guten Zeit beendete, nicht doch noch vorhanden wäre. Als ich dann bei 12 Kilometern auf die Uhr schaute, wusste ich jedoch, dass ich mich getäuscht hatte. Keine 60 Minuten waren vergangen und ich hatte mich langsam in mein Wohlfühltempo eingefunden.
Die Strecke führte nun entlang der Amstel. Man konnte einzelne Häuser sehen, die zum Großteil jedoch längst den (nicht vorhandenen) Charme der Neuzeit ausstrahlten und keinerlei holländische Tradition oder Baukunst offenbarten. Selbst Windmühlen waren kaum mehr an der Amstel zu sehen, als man sie auch in Hannover am Kanal bestaunen darf.





Als ich den Bogen des Halbmarathons erreichte, blickte ich erneut auf die Uhr. Die 3-40-Pacer hatte ich inzwischen ebenso wie die 3-50-Pacer (bereits deutlich früher im Rennen) eingeholt. Ich stellte fest, auf einer 3-30 unterwegs zu sein. Wenn auch nur knapp: 1 h 44:17 min war mein Zwischenergebnis. Im Bewusstsein, dass ich praktisch immer in der zweiten Hälfte langsamer wurde, machte ich mir keinen Stress. Das Rennergebnis würde gut werden, aber mit einer 3-30er-Zeit kalkulierte ich weiterhin nicht. Der Respekt, den letzten Marathon erst vor zwei Wochen gelaufen zu sein, war zu groß.
Das erste Mal ein negativer Split
War die Strecke bis dahin unspektakulär, wurde sie nun völlig belanglos. Weg von der Amsel führte der Amsterdam Marathon durch ein Industriegebiet, das so sehr an mir vorbeiging, dass ich fast zwei Kilometer verlor. Während ich bei Kilometer 30 noch wahrnahm, weiterhin das Tempo zu halten, tauchte plötzlich das Schild zu Kilometer 32 auf. Ich hatte weder die 31er-Marke bewusst wahrgenommen, noch die Strecke bis zum 32er-Schild. Ich war völlig in Gedanken versunken und hatte schon während des Laufes keine Erinnerung an diesen Abschnitt. So etwas oder auch nur etwas in der Art war mir auch noch nicht passiert.

Sehenswert wurde die Strecke weiterhin nicht. Bei 35 Kilometern entstand aber der Entschluss, das fünfte Mal einen Marathon unter 3-30 zu beenden. Gleichzeitig wurde mir jetzt erst so richtig klar, dass ich nicht nur eine glatte 5er-Pace laufen dürfte, sondern noch mindestens eine Minute für die letzten 195 Meter benötigen würde. Diese Unaufmerksamkeit hatte mir schon 2019 beim Berlin Marathon das Genick gebrochen. Das mag etwas komisch klingen, aber während eines Marathonsrennens ist zumindest mein Kopf ab einem gewissen Punkt im Autopilotenmodus und richtiges Denken wird zur Herkulesaufgabe.

Der Marathon führte nun zielstrebig zurück zum Olympiastadion. Hatte ich mich nach dem Start noch gewundert, warum die Kilometer nicht nur hoch, sondern auch mit etwas runtergezählt wurden, hatte ich nach einiger Zeit schon kapiert, dass man einen gewissen Teil der Strecke in entgegengesetzter Richtung erneut laufen würde. Die letzten 3,5 Kilometer sollte es so weit sein. Gleichzeitig wurde das Rennen nun anstrengender. Ich sammelte nicht mehr ganz so viele Läufer, wie noch während des restlichen Marathon aus, überholte aber weiterhin immer wieder andere Teilnehmer. Dies war neben den optimalen Bedingungen sicherlich auch ein Faktor, der heute zu dem guten Ergebnis beitrug.

Erneut durch den Vondelpark ging es auf die letzten zwei Kilometer. Eine letzte Verpflegungsstation bei Kilometer 41 und auf in den Endspurt. Ich mobilisierte noch einmal meine Kräfte und überholte noch ein paar Teilnehmer ein. Die zum Großteil spärliche Stimmung wurde nun richtig gut, was ich jedoch kaum wahrnahm. Vorbei an Kilometer 42 ging es um eine letzte scharfe Kurve direkt auf das Stadion zu. Der Blick auf die Uhr gab mir Sicherheit: Es sollte eine 3-30-Zeit werden. Im Sprint bewegte ich mich auf der Bahn in Richtung Ziel und durchlief den Bogen. Am Ende standen 3 h 28:32 min auf der Uhr. Erstmals war ich bei einem Marathon einen negativen Split gelaufen und beendete die zweite Hälfte schneller als die erste.

War der Amsterdam Marathon 2021 die Reise wert?
Meine Zielzeit entsprach Platz 1994 von 6604 Finishern, was verdeutlicht, wie schnell das Feld heute unterwegs war. Allein 209 Läufer kamen zwischen 2 h 55 min und 3 h 00 min ins Ziel, was einem Massenfinish entsprochen haben muss. Am Ende gab es für alle eine Medaille, die ebenso wie die Strecke nicht sonderlich spektakulär war. Dazu muss allerdings betont werden, dass die Aufmachung offensichtlich eine gewisse Tradition hat, wenn man im Internet nach Exemplaren aus den letzten Jahren sucht.

Für mich selbst hatte sich der Amsterdam Marathon 2021 Dank einem unerwartet guten Ergebnis in jedem Fall gelohnt. Rennen war sowieso auf meiner (nicht wirklich offiziellen) Bucket List gewesen. Von der Strecke war ich dennoch enttäuscht. Weder Erlebnisfaktor noch Stimmung waren auf einem Weltniveau. Dies verdeutlicht auch, was so ein offizielles Label bezogen auf diese Kriterien wert sein kann. Wer eine schnelle Strecke sucht, findet diese auch in Berlin oder Hannover und erhält gleichzeitig mehr Stimmung. So gesehen, hat der Marathon sich rein praktisch betrachtet nichts vorzuwerfen, erhält von mir in der B-Note aber keine Empfehlung.
Glückwunsch!! Was für eine sensationelle Zeit, vor allem zwei Wochen nach einem Marathon. 💪 Hut ab, und gute Erholung.
Besten Dank! 🙂
Schöne Zusammenfassung von diesem Event.
Auch ich dachte, dass der Marathon eventuell noch mehr flair hat. Wobei mein Eindruck auch dem geschuldet ist, dass ich ab KM 30 mehr mit mir selbst als mit meiner Umgebung beschäftigt war.
Auch ich gehörte zu den „Glücklichen“, die du irgendwann am Ende einkassiert hast.
Deine Zeit mit unter 3:30h ist echt respektabel.
Ursprünglich hatte ich mir auch mal so eine Zeit in den Kopf gesetzt. Bis KM 30 lief es soweit auch aber danach ging es leider stetig bergab.
Wobei die Bedingungen wie oben beschrieben eigentlich optimal waren. Umso mehr hadert es einen wenn man das gewünschte Ziel nicht erreicht und man stellt sich die Frage woran es gelegen hat.
Training lief die letzten Wochen +- eigentlich nach Plan. Denke, dass es eher an der unzureichenden Verpflegung vor und während dem Wettkampf gelegen hat. :/
Bei meinem ersten Marathon 2019 in Frankfurt bin ich ohne eigene Verpflegung gelaufen und mit der Verpflegung unterwegs gut klar gekommen. In Amsterdam diesmal hatte ich mit meinem laufrucksack und 2 Hipp Riegeln von der Tochter immerhin eigene verpflegung dabei und doch sind mir am Ende vollkommen die Körner ausgegangen und ich hab mich von verpflegungsstation zu station geschleppt.
Vielleicht muss ich mir eingestehen, dass wenn man einen Marathon zeitlich etwas ambitionierter angehen möchte für seine eigenen Verhältnisse es doch etwas mehr Planung bedarf in Sachen Verpflegung als auf nüchternen Magen nur mit 2 Hipp Riegeln der Tochter und etwas Wasser an den Start zu gehen.