Früher war alles besser! Oder war früher alles besser? Diese fast schon phrasenhafte Ausrede ging auch mir durch den Kopf, als ich am 06. Oktober 2018 an der geistigen Nachfolgeveranstaltung des BraveheartBattles teilnahm. Einem Extrem-Hindernislauf, der erstmals 2010 im bayrischen Münnerstadt ausgetragen wurde, in seiner Höchstzeit 3.000 Teilnehmer anlockte und für den ich ungewollt, aber nicht ohne einen gewissen eitlen Stolz, Poster-Model im Jahr 2012 war. Warteten damals bereits bei der Auftaktveranstaltung 600 Verrückte zwischen schneebedeckten Feldern, kamen beim Hell of the Brave im Jahr 2018 lediglich 164 Teilnehmer für das eigentliche Rennen zusammen. Aber gehen wir noch einmal einen Schritt zurück.

Die Mutter aller Extrem-Hindernisläufe
Wir schreiben das Jahr 1987. Der als „Mr. Mouse“ bekannte Billy Wilson schickt im englischen Birmingham erstmals Zivilisten über eine Laufstrecke, wie sie normalerweise nur junge Männer während ihrer Armeezeit kennenlernen würden. Er nennt das ganze Tough Guy Race.
Der Veteran der Grenadier Guards, der bereits vor dem Tough Guy Race Entwickler für militärische Parcours war, schickte die Teilnehmer während des britischen Januars durch Schnee und Matsch und ließ sie immer schwierigere Hindernisse überwinden. Dabei handelte es sich keineswegs um eine belanglose Plattitüde. In besonders schweren Jahren schafften nur 40 Prozent der Läufer, das Rennen auch tatsächlich zu beenden. Mit dem letzten Durchlauf 2017 endete eine 30-jährige Tradition, die international viele Nachahmer fand.
Allen voran Will Dean, der 2010 zusammen mit Guy Livingstone den Tough Mudder gründete. Frappierende Ähnlichkeit des Namens? Ein Schelm, der Böses denkt! Insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass Dean im Vorfeld interne Unterlagen des Tough Guy Races unter dem Vorwand einer wissenschaftlichen Arbeit zu lesen bekam. Doch im Gegensatz zur Ursprungsveranstaltung, die ein jährliches Event blieb und die bekannten Regionen nicht verließ, wurde aus Tough Mudder in den folgenden Jahren eine internationale Veranstaltung inklusive eigener Entwicklungshalle für neue Hindernisse.
In Deutschland konnten sich 2015 erstmals Männer und Frauen dem Tough Mudder stellen, der damit unter anderem zum StrongmanRun in Konkurrenz trat, der vielen auch als Fisherman’s Friend Run bekannt sein dürfte. Ein Pastillen-Hersteller, der seine Produkte eine Zeit lang mit dem Slogan „Sind sie zu stark, bist du zu schwach“ in Deutschland bewarb. Neben diesen drei Rennen reihten sich über die Jahre eine Vielzahl weiterer Läufe, die entweder kurze Phänomene blieben oder wie das Spartan Race, der Steelman oder der Motorman Run zum wiederkehrenden Event wurden. Die Liste an Veranstaltungen, die um potentielle Teilnehmer ringen, ist inzwischen so lang, dass monatlich verschiedenste Events allein auf deutschem Boden stattfinden. Die Deutschen haben eine „seltsame Sehnsucht nach Schlamm und Stacheldraht“, wie die Welt es 2017 bereits titelte. Und zwischen all dem der Hell of the Brave 2018.

Mein erster Extrem-Lauf
Warum also gerade der Hell of the Brave 2018 nur eine Woche vor dem Graz Marathon 2018? Zur Beantwortung muss ich noch einmal zurück in der Geschichte. Wie bereits angesprochen, fand das erste BraveheartBattle im Jahr 2010 in Nordbayern statt. Eine Zeit, als das Tough Guy Race zwar bereits immer mal wieder Thema verschiedener Fernsehbeiträge in Deutschland war, der große Hype um Extremläufe aber noch auf sich warten ließ. Entsprechend hatte ich praktisch keine Vorstellungen vom Ablauf, als ich 2010 oberkörperfrei mit einem Schottenrock bekleidet gemeinsam mit zwei Kollegen neben einem schneebedeckten Feld auf den Startschuss wartete. Neben uns vereinzelt kostümierte Teilnehmer, von denen einer sogar eine aufblasbare Luftmatratze dabeihatte. Der Anblick ist mir, genau wie meine Gedanken damals, bis heute in Erinnerung geblieben. „Die werden uns bei den Temperaturen doch nicht durchs Wasser schicken?“
Ich hatte wirklich keine Ahnung und bereits nach 200 Metern ging es damals das erste von unzähligen Malen durch einen Fluss, über den die Strecke regelmäßig im Zick-Zack-Kurs führte. Ergänzt wurde dies durch zu einer meterhohen Barrikade aufgetürmte Heuballen, Kriechen auf verschlammten Pflastersteinen, Klettern durch Reifen und Rohre und immer wieder eiskaltes Wasser. Während der ebenfalls im Schottenrock mit mir laufende Jan ebenso wie ich Blut geleckt hatte, tat mir der dritte Mann bei uns im Bunde im Nachhinein leid. Tobi war bereits zu dieser Zeit aktiver Triathlet (ein paar Jahre später Deutscher Meister seiner Altersklasse) und wurde insbesondere durch meine läuferischen Defizite stark eingebremst. Wir schafften die knapp 19, mit Hindernissen gespickten, Kilometer in 2 h 46 min und ich hatte mich mit Platz 230 von 600 für meine Verhältnisse achtbar geschlagen.
Im selben Jahr trat ich sehr spontan bei der Deutschen Meisterschaft der GRAWA im Kreuzheben an. Neben einer Leistung von 220 Kilogramm bei 73,5 kg Körpergewicht verbinde ich mit diesem Wettkampf auch das erste Treffen mit Richi, den ich zuvor nur aus dem Forum Team-Andro als User kannte. Wir beide führten aktive Trainingslogs und ebenso wie ich war Richi sportlich an mehr als einer Disziplin interessiert. Das führte dazu, dass er mich noch auf dem Wettkampf dazu überredete, wenige Wochen später bei einem Newcomer Cup im Strongman teilzunehmen. Es gab drei Gewichtsklassen, wobei diese nur der Wertung dienten, da alle Athleten dieselben Disziplinen schaffen mussten. Davon abgesehen füllte ich die bis 90 Kilogramm geführte leichteste Klasse nicht annähernd aus. Dennoch schaffte ich es an diesem Tag aber sowohl beim Autokreuzheben, als auch dem Yokerace mich besser zu platzieren, als der in der bis 105-Kilogramm-Klasse startende Richi. Eine Tatsache, mit der ich ihn immer mal wieder aufzog.
Dazu boten sich auch im echten Leben einige Gelegenheiten. Über die Jahre sahen Richi und ich uns immer wieder auf sportlichen Events, bei denen wir entweder beide antraten, oder nur einer von uns. Er begleitete mich sogar gemeinsam mit meiner heutigen Frau zu meinem ersten Bodybuildingwettkampf 2011. Dazu muss man sagen, dass dieser im höchsten Norden stattfand und Richi aus der Nähe von Erlangen anreiste. Das empfinde ich noch heute als keine Selbstverständigkeit, was letztendlich auch zur Teilnahme am Hell of the Brave beitrug.
Denn im Jahr 2011 nahmen Jan und ich das zweite Mal am BraveheartBattle teil und hatten unter anderem mit Richi einen neuen Mitstreiter im Team. Erneut ging es im Schottenrock, der auf traditionelle Art und Weise getragen wurde, oberkörperfrei auf die Strecke und es entstand unter anderem das Foto, was mich zum Poster-Modell für das Jahr 2012 machte. Richi war nun ebenfalls ein Braveheartbattle-Veteran.

Doch trotz Wildcard für das Jahr 2012, nahm ich weder im Folgejahr, noch in einem anderen am BraveheartBattle oder anderen Extremläufen teil. Es war witzig und hatte Spaß gemacht, aber die Tatsache, dass weitere Läufe wie Pilze aus dem Boden schossen und der Anspruch bei nicht unbedingt jedem Event hoch war, trug ihren Teil dazu bei, dass ich dieses Kapitel meines Sportlerlebens beendet hatte. Richi fragte mich in den Jahren immer mal wieder, aber es motivierte mich nicht viel.
Versprochen ist versprochen…
Bis wir 2017 dann wieder einmal über das Thema schrieben. Wir beide promovierten zu dieser Zeit. Ich erstellte eine kriminalistisch-sozialwissenschaftliche Arbeit und Richi hatte es von der Biologie in die Physik getrieben. Wir kamen von möglichen Extremläufen zu der Anspannung während des Promotionsverfahrens und ich ließ mich zu folgendem Versprechen hinreißen: „Sollte ich die Promotion erfolgreich abgeschlossen haben, laufe ich mit dir jeden Lauf, den du willst!“
Vermutlich für die meisten ein schwer nachvollziehbares Gefühl, aber wenn man gut vier Jahre nebenberuflich an einer einzigen wissenschaftlichen Arbeit sitzt und die Dissertation nicht nur pro forma irgendwie dahingeschrieben wird, ist es irgendwann nicht nur eine Frage von Zeit und Interesse, sondern auch Nerven und mentaler Anspannung. Sollte ich dieses große Ziel erreichen, wäre mir alles egal gewesen. Naja, nicht ganz, aber zumindest wäre ich bereit gewesen, erneut auf die Strecke zu gehen.
Und so kam es. Ich schloss das Promotionsverfahren im März 2018 erfolgreich ab und erhielt im April 2018 meine Urkunde und damit die Erlaubnis zum Führen des Doktortitels. Ein Lebensereignis, über das ich mich auch im Rahmen des digitalen Freundeskreises freute und das Richi sofort zum Anlass nahm, mich an mein Versprechen zu erinnern. Den passenden Lauf hatte er gleich im Angebot: Das BraveheartBattle habe 2018 nicht stattgefunden, aber dafür sei im Oktober eine Nachfolgeveranstaltung geplant. Mitten in Hessen, was für uns beide gut erreichbar gewesen wäre. Ich war nicht unbedingt überschwänglich vor Vorfreude, diskutierte aber auch nicht, sondern meldete uns beide sofort an. Versprochen ist versprochen.

Am Samstag war es nun soweit. Waren es bei meinem ersten Extremlauf noch eisige 4 Grad Außentemperatur und letzte Schneereste auf den bayrischen Feldern, erwarteten uns 22 Grad Höchsttemperatur mit deutlich weniger Teilnehmern als 2010 und 2011 in Hessen. Das Ganze war vermutlich auch der laienhaften Außendarstellung geschuldet. Die Homepage des Veranstalters war für 2018er-Verhältnisse altbacken, Instagram fand praktisch nicht statt und wenn Richi mir nicht von dem Lauf berichtet hätte, hätte ich niemals davon erfahren. Eine Überzahl an Extremläufen hin oder her: Wer bereits 3.000 Läufer mobilisierte, hat Potential verschenkt.
Im Jahr 2010 war die ARD mit Kamerateam vor Ort. Im darauffolgenden Jahr 2011 berichtete RTL. Ich kann ich mich noch gut daran erinnern, da ich auf beiden Sendern im jeweiligen Beitrag kurz präsentieren konnte, was der Schotte unterm Rock hat (selbstverständlich nur die Rückseite). Und 2018 beim Hell of the Brave? Da schaffte es der Veranstalter die Osthessen-News zu locken. Provinz-Nachrichten für eine Veranstaltung auf Provinz-Niveau? War früher alles besser?
Ich tue mich schwer damit, dies nicht mit „Ja!“ zu beantworten. Knapp 80 Euro kostete die Teilnahme am Lauf, was im Verhältnis zu beispielsweise einem normalen Marathon nicht wenig Geld ist. Dass das Organisieren und Aufstellen von Hindernissen Geld kostet und Aufwand bedeutet, ist mir bewusst. Was in Ransbach im Vergleich zu Münnerstadt acht Jahre zuvor geboten wurde, war das Geld aber kaum Wert. Hier mal ein Strohballen, dort mal ein wenig Kriechen. Der Lauf wollte höllisch sein, aber die Hindernisse waren vor allem höllisch langweilig und unspektakulär.

Der Hell of the Brave 2018
Unter einem Bagger durchkriechen. Über ein paar kaum einen Meter hoch aufgetürmte Nadelbäume klettern. Über eine Kabeltrommel klettern. Das sind Sachen, die man sich dann genauso gut sparen könnte, so dass die anderen Teilnehmer meist das größte Hindernis waren, wenn man mal wieder irgendwo anstehen musste, was allerdings auch bei anderen Läufen immer wieder vorkommt. Die einzigen erwähnenswerten Aufgaben waren eine Kriechpassage, bei der von Strom durchzogener Weidezaun über einem aufgespannt war, und ein See, durch den geschwommen werden musst.
Die Kriechpassage war allerdings mit fast 100 Metern deutlich zu lang gewählt, so dass viele weniger sportliche Teilnehmer immer wieder zwischendrin liegen blieben und alles aufhielten. Auch das ist vermutlich so ein Ergebnis dieser Extremläufe: Wenn jeder sich extrem, strong, tough, höllisch fühlen möchte, dann muss die Hölle auch mal einen Gang zurückschalten. Das tat sie generell beim See ebenfalls.
Ich kann mich 2011 noch an den eisbedeckten Fluss erinnern, durch den wir zeitweise schwimmen mussten. Dieses Jahr hatte das Wasser 12 Grad, was wärmer, für mich aber dennoch die größte Herausforderung war. Mir zog sich schlichtweg alles zusammen und ich bekam so schlecht Luft, dass ich mich akklimatisieren musste und vermutlich so lang wie niemand anderes zum Durchschwimmen benötigte. Ich habe keine Ahnung, warum ich mich in diesem Jahr so schwertat, aber bei aller Kritik zeigte zumindest dieses Hindernis bei mir Wirkung.
Was ebenfalls nervig war, war die unangekündigte Verlängerung der Strecke. Statt 24 wurden es offiziell 28 Kilometer, die laut den verschiedensten Garmin-Trägern aber in Wirklichkeit 30,5 Kilometern entsprachen. Konditionell war das weiterhin kein Problem für mich, aber ich hatte abends noch einen festen Termin zugesagt und so zog sich das Rennen, auch aufgrund von Krämpfen bei Richi, länger als gewünscht.
Am Ende durchschritten wir nach 5 h 20 min das Ziel und landeten damit am Ende der ersten Hälfte des Teilnehmerfeldes. Lediglich 10 Personen schafften den Lauf unter 4 Stunden, wobei das angesprochene Warten, insbesondere unter dem Weidezaun, seinen Teil hier beigetragen haben wird. Die letzte Enttäuschung war dann tatsächlich das Finisher-Goodie. Statt einer Medaille für die eigene Hall of Fame gab es ein Stirnband.

Erinnert ein wenig an die 80er und ist vielleicht ein Beispiel dafür, dass nicht immer alles besser war als früher. Ich wünsche dem Veranstalter und dem gesamten Event alles Gute und hoffe, dass man wieder das Niveau vergangener BraveheartBattles erreicht. Qualitativ wie quantitativ. Für mich war es allerdings (vermutlich) der letzte Lauf dieser Art.
Bin gerade über den aktuellen Andro-Artikel hier gelandet und habe direkt mal alle bisherigen Beiträge gelesen. Schön, hier mehr übers Laufen zu lesen. Ich laufe selber viel (aber eher die halbe Distanz) und verbinde die Wettkämpfe mit Reisen/ Urlaub. Freue mich auf die kommenden Beiträge und wünsche Dir viel Erfolg in Graz!
Viele Grüße, Melanie
P.S. Echt ein lausiges Goodie für so ein Startgeld 😀